Ernst Haeckel an Helene von Waldthausen, Jena, 22. November 1917

Jena 22.11.1917.

Projekt einer ausserordentlichen Professur für Allgemeinen Entwickelungslehre in Jena.

Von Ernst Haeckel.

Die wachsende Anerkennung der Allgemeinen Entwickelungslehre, als einea der wichtigsten Grundlagen der modernen Naturphilosophie ( – und damit der vernunftgemäßen Weltanschauung der Zukunft – ) hat mich nach 50jährigem eifrigen Studium derselben zu der festen Überzeugung geführt, daß die Gründung einer besonderen (zunächst noch außerordentlichen) Professur für dieses Fach ein dringendes Bedürfnis unserer Universitäten ist. Die sogenannte „Philosophie“, wie sie hier fast allgemein als „Reine Geisteswissenschaft“ (Metaphysik – so dunkel wie dieser zufällig entstandene Tintenklex!! – ) gelehrt wird – dualistisch, antinaturalistisch! – entbehrt der exakten, auf empirischen Boden festgelegten Grundlage und will Nichts an Entwicklung, und besonders von Abstammungslehre (Primaten-Descendenz!) wissen. ||

Nachdem ich ein halbes Jahrhundert lang an der Universität Jena die moderne monistische Entwicklungslehre erfolgreich vertreten und vor 10 Jahren daselbst zu ihrer Förderung und allgemeinen Verbreitung mein Phyletisches Museum gegründet hatte, ist es mir vor 3 Jahren ( – bei Gelegenheit meines 80sten Geburtstages, 1914 – ) gelungen, einen weiteren Fortschritt auf dieser zukunftsreichen Bahn durch Gründung eines besonderen Archivs für Entwickelungslehre zu erreichen. Die Weimarische Staatsregierung hat dafür in dem Neubau der erweiterten Universitäts-Bibliothek zwei besondere Räume zur Disposition gestellt und gestattet, daß in dem „Amtlichen Verzeichnis der Behörden, Lehrer, Beamten u. w. s. der Universität das neue Haeckel-Archiv (S. 22) als ein selbständiges Organ derselben aufgeführt und ein besoldeter Archivar bleibend dafür angestellt wird. ||

Als vor einem Jahre (im November 1916) die Vertreter der Staatsregierungen die neue Einrichtung des „Haeckels-Archivs“ besichtigten und Ihre volle Befriedigung über dieselbe aussprachen, habe ich die Gelegenheit benutzt, Ihnen meinen seit langer Zeit bedachten Plan über dessen Aufgaben zu erläutern, und besonders meinen Wunsch, eine ständige „Neue Professur für Allgemeine Entwickelungslehre“ mit der besoldeten Stellung des Archivars zu verbinden. Auch dieser Plan fand vollen Beifall.

Als erster Archivar wurde Dr. phil. Heinrich Schmidt (43 Jahre alt) angestellt, einer meiner tüchtigsten älteren Schüler (seit 16 Jahren), lange Zeit mein erster Assistent. Als Verfasser mehrerer gedankenreicher philosophischen und biologischen Schriften, besonders durch die Vielseitigkeit seines umfassenden Wissens für diese Archivar-Stelle geeignet, hat er durch zahlreiche öffentliche Vorträge (meistens über biologische und entwicklungsgeschichtliche Themata) gezeigt, daß er auch als Dozent seiner Aufgabe gewachsen ist. ||

Das wichtige und originelle Buch über „Geschichte der Entwickelungslehre“, am welchen Dr. Heinrich Schmidt ( – meiner Anregung zufolge) – seit mehreren Jahren arbeitet, wird jetzt gedruckt und soll innerhalb des nächsten Vierteljahres gedruckt vorliegen. Ich sehe die Korrekturbogen sorgfältig durch und hoffe, daß es mir gelingen wird ( – trotz des eventuellen Widerspruches des philosophischen Fakultät – ) die Ernennung des Candidaten zum Extraordinarius durchzusetzen. Seine Function als Archivar und seine Besoldung (jährlich 3000 Mk) bleibt auf alle Fälle bestehen. Sie erfolgt aus der Kasse der „Ernst-Haeckel-Stiftung“, die von dem Universitäts-Rentamt verwaltet wird. Deren Kapital ist nunmehr (Dank Ihrer hochherzigen Subvention!) auf die erwünschte Höhe von 100.000 Mark gebracht. Somit bleibt bei 4 % Verzinsung, außer dem Gehalt des Archivars, immer noch eine kleine Summe zur Erhaltung des Archivs selbst, Anschaffung von Büchern, Materialien u. s. w.

– Bericht für Frau Ellen Waldthausen in Königswinter am Rhein. 22.11.1917.

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Brief Metadaten

ID
32555
Gattung
Dokument
Entstehungsort
Entstehungsland aktuell
Deutschland
Entstehungsland zeitgenössisch
Deutsches Reich
Datierung
22.11.1917
Sprache
Deutsch
Umfang Seiten
4
Umfang Blätter
2
Format
14,2 x 22,2 cm
Besitzende Institution
EHA Jena
Signatur
EHA Jena, A 32555
Zitiervorlage
Haeckel, Ernst an Waldthausen, Helene (Ellen) von; Jena; 22.11.1917; https://haeckel-briefwechsel-projekt.uni-jena.de/de/document/b_32555