Ernst Haeckel an Helene von Waldthausen, Jena, 24. September 1917

Jena 24. September 1917.

Hochverehrte Freundin!

Die beiliegende offizielle Danksagung für Ihre hochherzigen Geschenke sollte schon vor drei Monaten an Sie abgehen. Ich wartete aber immer mit der Absendung, weil ich noch speziellere Mitteilungen über die Einrichtung der „Waldthausen-Sammlungbeifügen zu können hoffte. Das ist nun aber in Folge widriger Verhältnisse doch bisher nicht möglich gewesen.

Den ganzen Sommer bin ich durch allerlei Hindernisse – in erster Linie meine abnehmende Gesundheit und Arbeitskraft, in zweiter Linie durch die bösen Verhältnisse des Weltkrieges (mangelhafte Ernährung, Mangel an Arbeitskräften u. s. w.) in meinen Plänen arg gestört worden; wozu noch allerlei Sorgen in Betreff meiner Kinder und Enkel sich gesellten. ||

Volle sechs Monate hat die Vollendung meiner letzten wissenschaftlichen Arbeit in Anspruch genommen, die jetzt gedruckt und Ihnen noch im Laufe des October zugehen wird. Diese Abhandlung, betitelt: „Kristallseelen“, Studien über Leben der anorganischen Natur“ – behandelt in 4 Kapiteln: I. Das Leben der starren und flüssigen Kristalle, II. ihre nahen Beziehungen zu den niedersten Organismen: Probionten (Moneren, Bakterien, Chromacea) III. die nahe Verwandtschaft derselben zu den Radiolarien (und deren hohe Bedeutung für die Einheit der organischen u. anorganischen Natur), IV. Das Seelenleben aller Naturkörper, Psychomatik und Entwicklungslehre (monistisch). Ich hoffe, daß die neuen Gedanken dieser naturphilosophischen Arbeit, die mich unverhältnismäßig viel Mühe und Sorge gekostet hat, allmählig Anerkennung finden werden. ||

Von meinem persönlichen Befinden kann ich Ihnen leider nichts Erfreuliches melden. Im letzten Vierteljahre hat die Arbeit meines Herzens, das schon seit längerer Zeit schwach wurde, so abgenommen, daß die bedenklichen Circulations-Störungen, mit den allgemeinen Erscheinungen der Altersschwäche, mich nötigen, an den baldigen Abschied von dieser „schlechtesten aller Welten“ zu denken. Ehrlich gesagt bin ich froh, daß ich den nahenden vierten Kriegswinter ( – der hier in Jena direkt mit Fehlen der nötigsten Nahrungsmittel und Heizmittel droht! –) wohl nicht mehr durchzuhalten brauche. Wie schön könnte die Erde sein, wenn die Menschen die unerschöpflichen Schätze der Natur kennen und genießen lernten! Statt dessen wenden die christlichen „Kultur-Völker“ alle Kraft und Mittel an, um sich gegenseitig in barbarischer Weise zu zerfleischen und unglücklich zu machen! Welcher Wahnsinn!! ||

Indem ich mit diesen Zeilen, meine liebe hochverehrte Freundin, von Ihnen herzlichst Abschied nehme, wiederhole ich Ihnen meinen aufrichtigsten Dank für Alles Liebe und Gute, das Sie mir im Laufe dieses Jahres erwiesen haben. Vor Allem bin ich glücklich, daß Sie durch den hochherzigen Beitrag (24.000 M) zur akademischen „Ernst-Haeckel-Stiftung“ dessen Kapital auf die Höhe von 100. Tausend Mark (mit 4000 Mk Zinsen jährlich) gebracht haben. Dadurch ist es mir möglich geworden, meinem Archivar, Dr. Heinrich Schmidt, der seine Pflichten im Phyletischen Archiv gewissenhaft erfüllt, und fleißig an seiner „Geschichte der Entwickelungslehre arbeitet, das notwendige feste Gehalt von 3000 Mk jährlich sicher zu stellen.

Mit den herzlichsten Wünschen für Ihr Wohlergehen bleibe ich stets Ihr

dankbar ergebener

Ernst Haeckel.

Brief Metadaten

ID
32550
Gattung
Brief ohne Umschlag
Entstehungsort
Entstehungsland aktuell
Deutschland
Datierung
24.09.1917
Umfang Seiten
4
Umfang Blätter
2
Format
14,3 x 22,2 cm
Besitzende Institution
EHA Jena
Signatur
EHA Jena, A 32550
Zitiervorlage
Haeckel, Ernst an Waldthausen, Helene (Ellen) von; Jena; 24.09.1917; https://haeckel-briefwechsel-projekt.uni-jena.de/de/document/b_32550