Ernst Haeckel an Helene von Waldthausen, Jena, 19. Juni 1917

Jena 19. Juni 1917.

Hochverehrte Gnädige Frau und liebe Freundin!

Gestern (Montag) Abend ist mein Freund und Archivar, Dr. Heinrich Schmidt, wohlbehalten von Königswinter zurückgekehrt und hat mir sogleich noch (Abends 9 Uhr, im Wagen von seiner Frau abgeholt) herzliche Grüße von Ihnen überbracht. Er wird wohl wegen seines stark beschädigten Fußes hier noch mehrere Wochen liegen müssen.

Zunächst wiederhole ich Ihnen nochmals meinen herzlichsten Dank für alles das Gute und Liebe, was Sie in diesen letzten zwei Wochen für meinen kranken Freund getan, für die treue Fürsorge und Gastfreundschaft, die Sie ihm unter sorgsamer mütterlicher Pflege erwiesen, und für das warme Interesse, das Sie unseren gemeinsamen wissenschaftlichen Aufgaben bewahrta haben. ||

Insbesondere danke ich Ihnen noch von ganzem Herzen für Ihre fortgesetzte Teilnahme an dem Lieblings-Projekte von Dr. Heinrich Schmidt, meine Villa Medusa nebst Garten, die ich seit 34 Jahren bewohne, nach meinem Tode anzukaufen, als bleibendes „Haeckel-Archiv“ einzurichten und der Universität Jena (der ich seit Ostern 1861 angehöre) als Geschenk zu überweisen. Daß Sie für dieses weitausschauende Projekt eventuell die beträchtlichen Geldmittel bereitstellen und die dagegen sich erhebenden Bedenken überwinden wollen, ist ein neuer Beweis Ihrer seltenen hochherzigen Gesinnung, Ihres warmen Interesses für unsere moderne Naturwissenschaft ( – insbesondere dieb Entwickelungslehre und diec monistisched, damit verknüpftee Philosophie – ); wie auch für meine Person, deren Lebensarbeit ihrer Förderung seit 60 Jahren gewidmet war. ||

Indessen muß ich sehr bezweifeln, daß dieses schöne Projekt unter den gegenwärtigen außerordentlich schweren Verhältnissen des entsetzlichen Weltkrieges ausführbar sein wird. Ich habe in letzter Zeit so viele höchst bedenkliche Mitteilungen über die bedrängte Lage unsers teuren Deutschen Vaterlandes gehört ( – zum Teil von sehr erfahrenen und kritischen älteren Männern, Ärzten, Lehrern und Politikern, die direkt aus dem blutigen Feldlager kamen – ), daß meine pessimistischen Ansichten über den Ausgang dieses beispiellosen Völkerringens leider sehr bestärkt worden sind. Es fehlt uns bald an den notwendigsten Mitteln, einen Deutschen Frieden zu erringen: Mannschaften und Führern, Munition und Nahrungsmittel, und vor Allem: Geld! Wo sollen die Mittel herkommen, um die ungeheuerlichen Schulden des Reiches ( – im Ganzen mit den Verlusten über 100 Milliarden! – ) zu tilgen, ja nur die Zinsen der Kriegs-Anleihen zu bezahlen! – ||

Unter diesen traurigen Umständen scheint es mir das Richtigste, auf die Ausführung jenes idealen Projektes zunächst zu verzichten. Ich muß das um so mehr wünschen, als ich durch die gestrigen kurzen Mitteilungen von Dr. Heinrich Schmidt erfahren habe, daß Ihre Vermögenslage gar nicht so glänzend ist, wie ich aus den Angaben von Herrn Feodor Wiedemann ( – Ihres hypothetischen „Privat-Sekretärs“?? – ) annehmen zu dürfen glaubte. Keinesfalls dürfen Sie sich aus warmer Teilnahme an mir und meiner Lebensarbeit bestimmen lassen, auf irgend welche andere Wohltätigkeit, und auf den Genuß Ihres behaglichen Lebens in Ihrem schönen Grundbesitz Verzicht zu leisten oder Einschränkungen aufzuerlegen. Ich bin Ihnen schon jetzt durch Ihre Förderung der Ernst Haeckel Stiftung zu so großem Danke verpflichtet, daß ich keine weiteren Opfer mehr in Anspruch nehmen darf!

Mit herzlichsten Grüßen und besten Wünschen

Ihr treu ergebener

Ernst Haeckel.

a gestr.: erwiesen, eingef.: bewahrt; b korr. aus: der; c korr. aus: der; d korr. aus: monistischen; e korr. aus: verknüpften

Brief Metadaten

ID
32544
Gattung
Brief ohne Umschlag
Entstehungsort
Entstehungsland aktuell
Deutschland
Entstehungsland zeitgenössisch
Deutsches Reich
Datierung
19.06.1917
Sprache
Deutsch
Umfang Seiten
4
Umfang Blätter
2
Format
13,9 x 21,9 cm
Besitzende Institution
EHA Jena
Signatur
EHA Jena, A 32544
Zitiervorlage
Haeckel, Ernst an Waldthausen, Helene (Ellen) von; Jena; 19.06.1917; https://haeckel-briefwechsel-projekt.uni-jena.de/de/document/b_32544