Ernst Haeckel an Helene von Waldthausen, Jena, 30. April 1917

Frau Ellen Waldthausen geb. Münchmeyer in Königswinter a/R.

Jena 30. April 1917.

Hochverehrte Gnädige Frau

und liebe Freundin!

Ihr gütiges und inhaltsreiches, gestern eingetroffenes Schreiben vom 26.4. hat mich außerordentlich erfreut; ich beeile mich Ihnen gleich heute meinen aufrichtigsten und herzlichsten Dank zu sagen. Ihr lieber Besuch in Jena, gestern vor 8 Tagen, war mir wirklich eine ganz besondere Freude; denn unter den vielen tausend Menschen, die ich in meinem langen Leben – (in 60 Jahren seit meiner Doktor-Promotion!) – habe kennen lernen, sind nur sehr wenige Männer und Frauen, die an inniger, verständnisvoller Liebe zur Natur und an rücksichtslosem Streben nach Erkenntnis der Wahrheit Ihnen gleich kämen und mir selbst sympathisch wären!

Innigsten Dank muß Ihnen nun vor Allem für die hochherzige Stiftung von 24.000 Mark zu Gunsten meines Phyletischen Archivs sagen! Dadurch ist meine sehnlicher Wunsch erfüllt, das Kapital dieser Stiftung, das der Universität Jena gehört und von deren offiziellen Rentamt verwaltet wird, auf die Höhe von 120.000 Mk zu bringen, so daß der jährliche Zinsabwurf (4 % gerechnet) 4800 Mk beträgt und genügt, den Archivar zu besolden und daneben noch die nötigsten laufenden Ausgaben zu decken. Die wissenschaftliche Bedeutung dieses „Haeckel-Archivs“, dessen Begründung ich viele Jahre lang große Opfer gebracht habe, ist neuerdings dadurch sehr gestiegen, daß sich sein ursprüngliches Arbeitsgebiet: „Stammesgeschichte“ – 1866 – zu einer umfassenden „Allgemeinen Entwickelungslehre“ in zukunftsreichen Sinne erweitert hat (1914). ||

Die Zahlungs-Anweisung Ihrer höchst willkommenen Stiftung hat gar keine Eile und dürfte am besten in der Weise erfolgen, daß Sie – ganz wie es Ihnen am besten paßt – die 24.000 Mk in 5 einzelnen Raten (à 5000 Mk) von Ihrer Bank an die hiesige „Bank für Thüringen“ (vorm. Strupp) – Weigel-Str. 2, Jena – überschreiben lassen. Es ist diese Bank, in der auch die Universität alle ihre Gelder deponirt hat, ganz sicher. Mein Phyletisches Archiv hat in derselben ein besonderes Depot: Nr. 3725; ich bekomme darüber halbjährlich Rechnungs-Ablage – in Übereinstimmung mit dem Universitäts-Rentamt. Durch diese Raten-Zahlung (zu 5 getrennten Geschenken) ersparen wir die staatliche hier bestehende Schenkungs-Steuer (die bei einer einmaligen Zahlung der ganzen Summe hoch sein würde). Schenkungen bis zu 5000 Mk sind hier steuerfrei. –

Ihrem Wunsche entsprechend werde ich dem Prorektor Mitteilung von Ihrer Stiftung nicht unter Nennung Ihres Namens machen, sondern als „Geschenk eines Freundes der Entwickelungslehre, der seinen Namen nicht genannt zu sehen wünscht“. So hatte ich es selbst auch bei Begründung der Stiftung mit den 36.000 Mk gemacht, die ich als Honorar der „Welträtsel“ dafür gegeben hatte. Erst im vorigen Herbst (am 2. November 1916), als die Minister und Studienräte der 4 „Erhalter-Staaten“ (Weimar, Meiningen, Altenburg, Coburg) die beiden neu eingerichteten Räume des „Haeckel-Archivs“ in der Universitäts-Bibliothek inspizierten, wurde ich genötigt, mich selbst als den ungenannten „Amicus veritatis“ zu bekennen. ||

Mein Archivar, Dr. Heinrich Schmidt, dem Sie gestern auch gütigst geschrieben hatten, und mit dem ich gleich gestern Ihre hochwillkommene Förderung unsere gemeinsame Lebensarbeit eingehend besprach, ist ebenfalls hocherfreut und wird Ihnen auch heute noch seinen persönlichen Dank abstatten.

Er ist sehr gerührt, daß Sie außerdem noch die Güte hatten, ihm für dieses Jahr ein Reise-Stipendium zu seiner Erholung in einem Bade zu stiften. Allerdings ist er jetzt sehr überarbeitet und erholungsbedürftig. Wir sind aber Beide der Meinung, daß es besser ist, diese Badereise erst im Herbst anzutreten, nachdem Dr. Heinrich Schmidt das wichtige Buch über „Geschichte der Entwicklungslehre“ vollendet haben wird, mit dessen Abfassung er seit mehreren Jahren beschäftigt ist.

Ich sehe das Manuskript dieses Werkes, von dem ich mir viel Erfolg für unsere monistische Philosophie verspreche, sorgfältig durch; ich bin sicher, daß es mir gelingen wird, auf Grund desselben die neue ( – erste! – ) Professur für Entwickelungslehre“ ( = „Metamorphose“ von Goethe! – ) hierselbst zu schaffen, und damit wirklich ein wertvolles neues Organ für die Kultur-Reform des 20. Jahrhunderts! –

Unser einsichtsvoller leitender Staatsminister, Dr. Rothe in Weimar, dem ich am 2. November 1916 diesen Plan vortrug, nahm denselben sehr wohlwollend auf und ich zweifle nicht, daß er noch in diesem Jahre zur glücklichen Ausführung gelangen wird. Es wird für Sie, hochverehrte Freundin, gewiß zur hohen Befriedigung gereichen, daß Sie selbst durch Ihre hochherzige Stiftung dazu beigetragen haben, diesen bedeutungsvollen neuen Baustein der monistischen Naturphilosophie und Entwicklungslehre zuzuführen. ||

Natürlich habe ich selbst den lebhaften Wunsch, auch meinerseits mich für Ihre gütigen Gaben dankbar zu zeigen. Ich werde im Laufe der nächsten Wochen meine ganze, Ihnen nur teilweise bekannt gewordene Sammlung von Landschafts-Aquarellen, die ich auf meinen Reisen im Laufe von 60 Jahren zusammen gemalt habe, durchgehen und Ihnen daraus eine Mappe zusammenzustellen. Ich darf wohl hoffen, daß Ihnen, als weltreisende Naturfreundin, diese Erinnerungsblätter einiges Vergnügen machen werden; vielleicht bezeichnen Sie mir diejenigen Gegenden, die Ihnen besonders lieb sind: „Ceylon, Insulinde, Riviera, Sizilien, Tyrol, Schweiz, Bayern, Jena“ etc).

Außerdem stehen Ihnen natürlich alle meine Schriften gern zur Verfügung; das Verzeichnis finden Sie in der „Festrede“ vom 30.7.1908 (Alte u. neue Naturgeschichte). Die 3 Biographien von Bölsche, Breitenbach, May besitzen Sie wohl schon? Die vierte (Dodel) lege ich bei. – Über den Plan, eventuell die „Villa Medusa“ nach meinem Tode zu einem E. H. Museum auszugestalten, kann ich Ihnen erst Ende Mai berichten, nachdem ich mit meinem Sohn (der in der Pfingstwoche hier sein wird) und mit Dr. Heinrich Schmidt alle bezüglichen Verhältnisse eingehend besprochen habe. Es sind da vielerlei Schwierigkeiten zu bedenken! (Persönlicher und sachlicher Art). –

Mit wiederholtem herzlichsten Danke

Ihr treu ergebener

Ernst Haeckel.

Brief Metadaten

ID
32542
Gattung
Brief ohne Umschlag
Entstehungsort
Entstehungsland aktuell
Deutschland
Entstehungsland zeitgenössisch
Deutsches Reich
Datierung
30.04.1917
Sprache
Deutsch
Umfang Seiten
4
Umfang Blätter
2
Format
21,0 x 27,0 cm
Besitzende Institution
EHA Jena
Signatur
EHA Jena, A 32542
Zitiervorlage
Haeckel, Ernst an Waldthausen, Helene (Ellen) von; Jena; 30.04.1917; https://haeckel-briefwechsel-projekt.uni-jena.de/de/document/b_32542