Ernst Haeckel an Helene von Waldthausen, Jena, 20. April 1918

Jena 20. April 1918.

Hochverehrte Gnädige Frau!

Am nächsten Montag (22.4.) ist gerade ein Jahr verflossen, seitdem Sie mich durch Ihren Besuch in Jena erfreuten und die Arbeitsstätten meiner hiesigen, nunmehr 57jährigen akademischen Wirksamkeit in Augenschein nahmen; voran das Phyletische Museum und Archiv, das Zoologische Institut und die Villa Medusa, in der ich seit meinem Rücktritt vom Lehramt (Ostern 1909a) ein stilles Eremiten-Leben führe. Leider hatte ich ja heute vor 7 Jahren das Unglück, bei einem Sturze von der Bibliotheks-Leiter das linke Hüftgelenk zu brechen. Dadurch wurde meine Hoffnung vereitelt, noch manche schöne Reise auszuführen und insbesondere für das seit vielen Jahren beabsichtigte populäre Radiolarien-Werk neue Beobachtungen und Materialien zu sammeln. Auch hat der Mangel an freier Ortsbewegung meine Gesundheit und Arbeitskraft seitdem immer mehr beeinträchtigt. ||

Durch die schönen Präparate, die Sie damals unserem Zoologischen Museum schenkten (Tiefsee-Spongien aus Japan, Ceratodus, Apteryx u. s. w.) haben Sie den Dank reichlich verdient, den Ihnen mein Amtsnachfolger, Professor Plate, dafür ausgedrückt hat. Nicht minder dankbar mußte ich Ihnen für die hochherzige Geldspende von 10.000 Mk sein, welche Sie meinem Phyletischen Archiv zuwendeten und in 2 Raten zu 5.000 Mk an das hiesige Akademische Rentamt auszahlen ließen. Die „Ernst-Haeckel-Stiftung“ der Universität Jena, die von Letzteren verwaltet wird, soll vorläufig nur ihre Zinsen zur Unterhaltung des Phyletischen Archivs verwenden, zur Besoldung des Archivars und dem Ausbau der Bibliothek u. s. w. Dagegen muß es mein Wunsch bleiben, das ständige Kapital derselben nicht anzugreifen und es möglichst bald auf die Höhe von Einhundert Tausend Mark zu heben. ||

Als ich Ihnen vor einem Jahre diesen Plan auseinandersetzte, erteilten Sie demselben Ihre Zustimmung und versprachen, Ihrerseits dazu die Summe von 24.000 Mk beizusteuern. Demnach darf ich mich der Hoffnung hingeben, daß Sie noch in diesem Jahre 14.000 Mk an die „Ernst-Haeckel-Stiftung“ – beziehentlich an das Akademische Universitäts-Rentamt – senden werden. Die Publikation des reich illustrierten Populären Radiolarien-Werkes, des „Strahlings-Lebens“, für welches Sie – im Verlage von Wegner in Stuttgart – 30.000 Mk spenden wollten, ist ohnehin bei den jetzigen, höchst ungünstigen Zeit-Verhältnissen (Steigende Teuerung, Mangel an Papier und Arbeitskräften u. s. w.) in absehbarer Zeit nicht möglich. – Der weiter gehende Plan, die Villa Medusa anzukaufen und der Universität Jena als „Haeckel-Stiftung“ zu schenken, zur Aufnahme des gesammten „Haeckel-Archivs“ (mit Bibliothek, Sammlungen, Bildern etc.) ist ja ohnehin bereits als aufgegeben zu betrachten. ||

Wenn ich Sie jetzt freundlichst bitte, mir bald Antwort auf die Frage zu geben, Ob und Wann die „Ernst-Haeckel-Stiftung“ die versprochene Spende von 14.000 Mk noch in diesem Jahre erwarten darf, so geschieht dies aus zwei Gründen.

Erstens hat sich das Phyletische Archiv so glücklich weiter entwickelt, daß es zu einem umfassenden „Archiv für die gesammte (universelle)b Entwickelungslehre“ erweitert worden und dafür die neue „Goethe-Professur“ (mit dem Ihnen bekannten monistischen Lehrauftrage) gegründet werden soll (schon im Mai 1918).

Zweitens hat sich mein Gesundheits-Zustand (mit stetig zunehmender Herzschwäche, partieller Lähmung etc.) seit 2 Monaten – seit Beginn meines 85. Lebensjahres – so bedenklich verschlechtert, daß ich nur noch auf wenige Monate Lebensrest rechnen darf.

Ich muß dringend wünschen, die oben erwähnten Archiv-Aufgaben, die mir im Interesse der Wissenschaft sehr am Herzen liegen, noch vor meinem nahen Ende zu erledigen.

In der Hoffnung, daß Sie aus diesen Gründen meine Bitte günstig aufnehmen werden, bleibe ich mit herzlichsten Grüßen

Ihr dankbar ergebener

Ernst Haeckel.

a korr. aus: 1809 b gestr.: alte, eingef.: (universelle)

Brief Metadaten

ID
32540
Gattung
Brief ohne Umschlag
Entstehungsort
Entstehungsland aktuell
Deutschland
Entstehungsland zeitgenössisch
Deutsches Reich
Datierung
20.04.1918
Sprache
Deutsch
Umfang Seiten
4
Umfang Blätter
2
Format
14,2 x 22,2 cm
Besitzende Institution
EHA Jena
Signatur
EHA Jena, A 32540
Zitiervorlage
Haeckel, Ernst an Waldthausen, Helene (Ellen) von; Jena; 20.04.1918; https://haeckel-briefwechsel-projekt.uni-jena.de/de/document/b_32540