Dodel-Port, Arnold

Arnold Dodel-Port an Ernst Haeckel, Zürich, 3. Januar 1900

Rigistrasse 60. Zürich IV.

3. Januar 1900

Herrn Prof. Dr. Ernst Haeckel in Jena.

Verehrtester Herr College!

Aus dem alten Jahr 1899 habe ich eine große Schuld herübergenommen in’s neue Jahr 1900, eine Schuld an Sie, die freilich einstweilen nur in Worten herzlichen Dankes ihre Auslösung finden soll. Nach Empfang Ihres herrlichen Buches über die Welträthsel wollte ich Ihnen sogleich schriftlich Dank sagen, dann hatte ich die Absicht, im „Freidenker“ von Bruno Wille eine Besprechung des Werkes zu bringen, den Gottesfürchtigen zum Verdruß, den Gottlosen zur Erwärmung. Daß bis zur Stunde aus beiderlei Vorhaben Nichts geworden: daran sind die Umstände Schuld, unter denen ich seit meiner Rückkehr aus Norderney meinem Beruf obliege. Sie wissen, daß im August mein I.Assistent & langjähriger Freund, Dr. Ernst Overton, sehr gefährlich erkrankte. Trotzdem die Aerzte ihn gleich anfangs für rettungslos verloren hielten, hat sich Overton doch wieder ganz ordentlich erholt, so daß ich ihm Urlaub auswirken konnte zum Weggehen nach einer Heil-Station. So bin ich denn seit Sommer ohne Assistent, obgleich meine liebe Frau ihr Möglichstes thut, stellvertretend in die Lücke zu stehen; denn unmöglich kann eine ihres Berufes bewußte Mutter zweier kleiner Kinder dieselbe Arbeit leisten wie ein Mann, der seinem Amt die ganze Kraft leiht. Da bin ich nun eben wocheein wocheaus an’s Laboratorium gebunden u. muß ich Alles, Alles liegen lassen, bis ich wieder einen regelrechten Assistenten haben werde. Diese ganze Leidensgeschichte legte mich also nach Außen total lahm; deßhalb legte ich auch das Amt des I. Vorsitzenden im Deutschen Freidenkerbund nieder. Figurant zu sein, ist nicht nach meinem Geschmack, zum Anderen aber habe ich jetzt keine Zeit. Wer im Deutschen Freidenkerbund was Tüchtiges zu Stande bringen will, der hat seine ganze Kraft einzusetzen, hat vielerlei Dinge zu reformiren, hat propagandistisch wie ein Teufel bei der Verführung sich in’s Zeug zu legen u. nach Rechts & nach Links sich gegen Kleingeister zu richten, die in den eigenen Reihen jene Leimsiedereien treiben, wie sie eben getrieben werden müssen, wenn der Zug & Trieb in’s Große lahmgelegt werden soll. Das sind keine Bagatellsachen; wer sie bewältigen will, der braucht nicht nur guten Willen und ein richtig Maß von Kraft, sondern auch enorm viel Zeit & riesig viel Geduld. Das konnte ich unter dermaligen Umständen nicht unternehmen, deßhalb schrieb ich mein Entlassungsgesuch schon im September letzthin, das Sie vor ein paar Wochen im „Freidenker“ abgedruckt fanden. Mir will vorkommen, dass David Friedrich Strauss vollkommen das Richtige getroffen: wer dem Kirchenwesen den Rücken gewendet hat, wird sich meistens davor hüten, neuerdings auf Formen & Paragraphen zu schwören, wird meist seine eigenen Wege gehen & so lange ein Freier sein wollen, als es irgendwie angeht. Die Unkirchlichen werden kaum jemals eine gut organisirte imposante Verbindung darstellen. Das schließt keineswegs || aus, daß diese Unkirchlichen eines Tages in Mehrheit u. eine kirchenvernichtende Macht sein werden.

Mit dem Studium Ihres Buches bin ich schon ziemlich weit gekommen. Was mich staunen macht, das ist die Kürze & Prägnanz, mit welcher das wuchtige Material in diesem Werke beherrscht wird. Es war in der That ein sehr guter Gedanke, Ihre Hauptlehren in Einen Guß zu schmelzen und den Monismus wie eine tadellos gewappnete Minerva auf den Plan zu stellen. Damit haben Sie selbst – der Berufenste von allen Monisten – jene Arbeit gethan, die in allen Fällen hätte gethan werden müssen von irgendeinem Ihrer Schüler, wenn Sie dieselbe unterlassen hätten. Dafür wollen wir Ihnen herzlich Dank sagen und warm die Hand drücken.

Ich hoffe, es werde mir in der 2ten Hälfte des Wintersemesters vergönnt sein, in einem geeigneten Organ über Ihr Buch ein ausführlicheres Wort zu sagen.

Nicht minder erfreut haben mich Ihre Kunstformen der Natur, die Sie mir ebenfalls zusenden ließen (ich war gleich anfangs zum Vornherein Abonnent.). Die Verlagshandlung hat sich sehr angestrengt, das Werk würdig auszustatten. Den Preis finde ich schrecklich niedrig. Möchten diese Prachtblätter in keiner Zeichnenschule, in keiner Schulklasse mit Zeichnen-Unterricht fehlen.

Heute erhielt ich wieder Nachrichten aus Goisern, dem Heimatdorf Deublers. Dort oben im sonnigen Traunthale schmilzt die Deubler-Gemeinde mehr & mehr zusammen. Die Reaktion scheint so weit zu gedeihen, daß es nächstens Kutten schneien wird. Deublers Bücherei & Sammlung ist in Kisten verpackt & unter einem Dachraum gespeichert worden. Vom freien Geist rings um den Primesberg keine Spur mehr; wohl leben noch ein paar Dutzend Deublerfreunde; aber eine Weiter-Entwicklung seiner Sache ist noch auf lange hinaus nicht zu erwarten. Dagegen ist das Deublerbuch nun vergriffen. Das ist mir ein Trost – er lebt doch fort & wirkt weiter hinaus als bis zu den Grenzpfählen Österreichs.

Es ist später Abend. Ich sage Ihnen für heute Lebewohl und bitte Sie, unsere herzlichsten Wünsche & Grüße entgegenzunehmen.

Ihr dankbarst ergebener

A.Dodel.

auch im Namen meiner Frau.

 

Letter metadata

Verfasser
Empfänger
Datierung
03.01.1900
Entstehungsort
Entstehungsland
Zielort
Jena
Besitzende Institution
EHA Jena
Signatur
EHA Jena, A 3253
ID
3253