Ernst Haeckel an August Weismann, Jena, 28. Juni 1867

Jena 28 Juni 67

Mein lieber Freund!

Ich beginne meinen heutigen Brief mit einer Nachricht, von der ich weiß, daß Sie herzlichen freundschaftlichen Antheil daran nehmen werden. Ich habe mich am 15. Juni wieder verlobt, und zwar mit Agnes Huschke, der jüngsten Tochter des verstorbenen hiesigen Anatomen. Meine Braut, die ich schon seit längerer Zeit kenne, ist ein sehr liebes, munteres und einfach natürliches Mädchen, und ich darf mit Zuversicht hoffen, daß sie das jäh zertrümmerte Glück meines häuslichen Lebens neu aufbauen wird. Sie können denken, daß diese neue glückliche Wendung meines Schicksals jetzt alle anderen Gedanken, und auch meine wissenschaftlichen Bestrebungen stark in den Hintergrund drängt, und Sie werden das als glücklicher Bräutigam ganz in der Ordnung finden. ||

Wir denken, ungefähr Mitte August zu heirathen, und dann auf 6–8 Wochen nach Süddeutschland, eventuell der Schweiz und Ober-Italien zu verreisen. Nach Ihrem lieben letzten Briefe vom 21. Mai, für den ich Ihnen herzlich danke, darf ich vermuten, daß Sie ungefähr dieselben Absichten haben, und ich würde es allerliebst finden, wenn die beiden glücklichen jungen Ehepaare sich im September irgendwo auf ihrer Hochzeitsreise treffen und vielleicht einige Tage beisammen bleiben könnten. Schreiben Sie mir doch, was Sie dazu meinen und wohin Sie Ihre Reisepläne wohl führen werden.

Über den Verlauf meiner canarischen Reise wird Ihnen der beifolgende vorläufige Reisebericht das Wichtigste mittheilen. Im Ganzen war die zoologische Ausbeute mäßig und meinen ziemlich hoch gehenden Erwartungen nicht entsprechend. ||

Daß Sie in meiner „Generellen Morphologie“ manches Brauchbare gefunden haben und im Ganzen mit den darin ausgesprochenen Grundsätzen einverstanden sind, hat mich sehr erfreut und getröstet. Gleiche Zustimmung ist mir bisher nur von sehr wenigen Seiten geworden. Nicht allein die zahlreichen Gegner, von denen ich dies von vornherein erwartete, und die dazu berechtigt sind, sondern auch viele Anhänger Darwins und unsere speciellen Gesinnungs-Genossen – sind über mein Opus höchlich empört und verwerfen es grimmig. Es ist wahr, daß sehr viele dumme und unnütze (namentlich persönlich-polemische) Bemerkungen darin sind, welche dem Buch offenbar nur schaden; auch ist der ganze Ton vielleicht recht verfehlt und unangenehm – eine Folge der gräulich gereizten Stimmung und wirklich pathologischen Aufregung, in die mich die übermäßige Arbeit und Anstrengung des vorigen Sommers versetzt hatte. ||

Aber abgesehen von diesen und manchen anderen Schattenseiten des Buches glaube ich denn doch, daß eine ziemliche Menge von neuen, guten und brauchbaren Gedanken darin enthalten sind, die bei weiterer Fortentwicklung der Wissenschaft nutzbar sein werden; ich müßte sonst wirklich die ernste und schwere Anstrengung, die ich daran gesetzt, bedauern und an meiner eigenen Leistungsfähigkeit verzweifeln. – Was Eozoon betrifft, so kann ich Ihnen leider kein Präparat davon geben, da ich selbst keines besitze. Was ich aber in London davon bei Carpenter etc sah, hat mich nicht vollkommen von der Polythalamien-Natur desselben überzeugt. – Dr. Dohrn, der hier über Insecten-Entwicklung gearbeitet hat (ein Sohn des Stettiner Dohrn) und der früher meine Assistent war, ist jetzt in England. – Hoffentlich höre ich recht bald Gutes von Ihnen, lieber Freund! Ihren Augen wünsche ich von ganzem Herzen baldige vollständige Wiederherstellung. Ihrer lieben Fräul. Braut bitte ich mich unbekannter Weise zu empfehlen.

Mit herzlichen Grüßen Ihr treu ergebener Haeckel

Brief Metadaten

ID
32505
Gattung
Brief ohne Umschlag
Entstehungsort
Entstehungsland aktuell
Deutschland
Entstehungsland zeitgenössisch
Großherzogtum Sachsen-Weimar-Eisenach
Datierung
28.06.1867
Sprache
Deutsch
Umfang Seiten
4
Umfang Blätter
2
Format
14,5 x 22,0 cm
Besitzende Institution
Universitätsbibliothek Freiburg i. Br., Autographensammlung
Signatur
Autographen-Nr. 1077
Zitiervorlage
Haeckel, Ernst an Weismann, August; Jena; 28.06.1867; https://haeckel-briefwechsel-projekt.uni-jena.de/de/document/b_32505