Ernst Haeckel an Oscar Schmidt, Jena, 29. Februar 1872

Jena 29 Februar 72

(Am 80sten Geburtstage

des alten K. Ernst Baer!)

Liebster Freund!

Deine heute eingetroffene Meldung, daß Du die Professur in Strasburg angenommen hast, hat mich mit der aufrichtigsten Freude erfüllt, und zwar aus drei verschiedenen Gründen:

1, weil ich keinen besseren Zoologen für die wichtige Strasburger Stellung wüßte und gerade wegen Deiner generellen Bestrebungen und Deines Verständnisses für die höchsten Ziele unserer Wissenschaft Dich besonders schätze;

2, weil ich es für Dich sehr gut halte, aus Österreich herauszukommen, in einen Wirkungskreis, der qualitativ jedenfalls viel dankbarer ist; und 3, weil ich selbst die günstige Gelegenheit gehabt habe, diese nach meiner Überzeugung für Strassburg wie für Dich selbst höchst erfreuliche Veränderung zu veranlassen. Ich bin überzeugt, daß Du dort ein viel empfänglicheres Publicum für Deine Ideen findest, als in Österreich, wo doch immer der Boden zum größten Theile nicht hinlänglich verbreitet ist. Wenn nicht Gegenbaur und ich selbst jetzt hier so angenehm situirt und so fest mit unseren selbstgeschaffenen schönen Instituten verwachsen wären, und wenn wir gleichzeitig nach Strasburg berufen worden wären, würden wir wohl hingegangen sein. ||

Wie traurig sieht es aber jetzt im Ganzen mit den Vertretern der Zoologie und Anatomie aus! Es ist ein wahrer Jammer! Statt die Entwicklungslehre zum Fortschritt in das große Ganze zu benutzen, verkriecht sich Alles in die kleinsten Kleinigkeiten!

Mein Schwamm-Buch, an dem jetzt tapfer gedruckt wird, kann erst in einigen Monaten erscheinen, da immer noch einige 20 Tafeln zu lithographiren sind. Der Stoff hat sich wundervoll abgerundet, und ich habe die Freude, ein so in sich abgeschlossenes und hoffentlich lehrreiches Bild geben zu können, wie es bei einer so kleinen Gruppe nur möglich ist. Du wirst sicher große Freude daran haben. ||

Was hast Du denn zu den Renieren mit Nesselzellen von Eimer (in Max Schultzes Archiv VIII, 2) gesagt?

Wenn Du in Triest Flimmer-Larven von Horn- und Kieselschwämmen bekommst, sieh sie doch ja recht genau an!

Dein linguistischer hoffnungsvoller Sohn soll uns sehr willkommen sein. Er wird von Bursian und Delbrück sehr befriedigt sein. Wenn er auch etwas an Phylogenie nascht, soll mich das sehr freuen!

Die Osterferien muß ich leider wegen Decanats und Spongien Buches hier bleiben.

An Deine liebe Frau beste Grüße.

Dein

Ernst Haeckel

Brief Metadaten

ID
32475
Gattung
Brief ohne Umschlag
Entstehungsort
Entstehungsland aktuell
Deutschland
Entstehungsland zeitgenössisch
Deutsches Reich
Datierung
29.02.1872
Sprache
Deutsch
Umfang Seiten
4
Umfang Blätter
2
Format
14,2 x 22,2 cm
Besitzende Institution
EHA Jena
Signatur
EHA Jena, A 32475
Zitiervorlage
Haeckel, Ernst an Schmidt, Oskar; Jena; 29.02.1872; https://haeckel-briefwechsel-projekt.uni-jena.de/de/document/b_32475