Dodel-Port, Arnold

Arnold Dodel-Port an Ernst Haeckel, Zürich, 27. Dezember 1887

Zürich, botanisches Laboratorium

der Universität.

27. Decbr. 1887.

An Herrn Prof. Dr. Ernst Haeckel in Jena.

Hochgeehrtester Herr College!

Die Frage der Weiterentwicklung des zoologischen Unterrichtes an unserer hiesigen Universität nöthiget mich, Ihnen mit diesen Zeilen lästig zu werden. Es gibt für mich bei Ihnen wohl einen triftigen Grund der Entschuldigung: das ist gerade die Bedeutung Ihrer eigenen bahnbrechenden Forschungen u. Lehrart, welche gewiß so manche Universität auf Jena neidisch machen müßte. Zur Sache!

Das Fach der Zoologie liegt an unserer Universität seit Jahrzehnten in den Händen von Prof. Dr. Heinrich Frey, der nebst der Zoologie auch Histologie u. vergleichende Embryologie lehrt, dabei der medicinischen Facultät angehört & somit mit unserer philosophischen Facultät eigentlich Nichts zu schaffen hat. Seit mehr als 20 Jahren liest Frey die Zoologie immer in unveränderter, keineswegs fortschrittfreundlicher Weise; dabei ist der gute Herr alt und sehr bequem geworden, so daß in der Regel seit Jahren die Hälfte der für Zoologie angesetzten Stunden ausfällt. Die Studierenden der medicinischen & philosophischen Facultät, welche ihn zu hören hatten, beklagen sich seit Jahr & Tag mehr u. schließlich belegten sie die Curse der Privat-Docenten, so daß Herr Prof. Frey nun selbst gewillt erscheint, das Fach der Zoologie abzutreten. Die II. (naturwissenschaftliche) Section der philosophischen Facultät wurde daher von den Erziehungsbehörden des Kantons Zürich ersucht, in Sachen des künftigen Zoologie-Unterrichtes an unserer Hochschule ihre Meinung abzugeben. Unsere Section hat neulich in einer Sitzung beschlossen, bei den Erziehungsbehörden um die Creiirung eines selbständigen Lehrstuhles (ordentliche Professur) für Zoologie einzukommen u. in Bälde Vorschläge für die Besetzung dieses neuen Lehrstuhles zu machen. Es kann keine Rede davon sein, daß einer der bisherigen Privatdocenten für Zoologie von unserer Fakultät vorgeschlagen wird; denn der namhafteste Docent (Dr. Asper) ist erkrankt ohne Hoffnung auf Wiederherstellung seiner Gesundheit. Auch ist derselbe nur || als bewährter Docent (mit vorzüglichem Vortrag), leider aber nicht als selbsthätiger Forscher bekannt. Dr. Konrad Keller, den Sie persönlich kennen, ist durch sein Wesen an unserer Universität schon längere Zeit unmöglich geworden, es fehlt ihm nicht allein die richtige Methode des Lehrens, sondern auch der richtige Takt gegenüber allen denen, mit denen er zu verkehren hat. Ueber den Werth seiner wissenschaftlichen Forschungen sind Sie wohl besser unterrichtet, als ich – item – auch von Dr. Konrad Keller wird also bei der zu erwartenden Besetzung einer ordentlichen Professur für Zoologie an unserer Hochschule keine Rede sein. Ein dritter Docent, Dr. Imhof – bis vor kurzem Assistent von Prof. Freya, ist wohl durch einige Arbeiten über die pelagische Fauna der Alpen-Seen in gewissen Kreisen bekannt; er „zieht aber bei den Studenten nicht“, mangels eines lebendigen Vortrages. „Es fehlt da an Schneid“ u. Gewähr für ersprießliches lehrendes Wirken.

So wird unsere II.Section der philosophischen Facultät bei der Namhaft-Machung von Vorschlägen keinen der drei genannten Privat-Docenten berücksichtigen können. Es ist daher in der letzten Fakultäts-Sitzung von uns beschlossen worden, daß einige Mitglieder unserer Section sich in aller Stille privatim nach geeigneten Personen, die in Vorschlag kommen könnten, umzusehen und dann im nächsten Monat ihre Vorschläge zu machen habenb. Diese Sache interessirt mich selbstverständlich in hohem Grade. Die Zoologie muß hierorts in die Bahn der neueren Forschung hineingelenkt werden; es darf weder der Darwinismus noch der Haeckelismus hier, wie es bisher geschah, vom ordentlichen Professor des genannten Faches vornehm ignorirt werden. Wir trachten darnach, eine junge tüchtige Kraft zu gewinnen, befähiget und gewillt, mit Eifer & Begeisterung in gutem Vortrag die Zoologie unter den Gesichtspunkten der Entwicklungslehre, also nach Ihrem Sinn & in Ihrem Geiste vorzutragen, befähiget auch und gewillt, mit edler Schaffensfreude selbsthätig auf dem Gebiet der Zoologie zu forschen, befähiget u. durch bereits vorhandene Ausweise auch dazu autorisirt, junge Leute in’s zoologische Forschen durch praktische Curse einzuführen. Die hiesigen Erziehungsbehörden haben bewiesen, daß sie in Sachen des academischen Unterrichtes guten Willen haben; unsere Fakultät hofft also mit Grund, daß man die Mittel dekretire, um den Lehrstuhl der Zoologie tüchtig zu staffiren. Das ist nun ein Posten, auf welchem ein tüchtiger Zoologe Namhaftes wirken und für die Propaganda der entwicklungsgeschichtlichen Wahrheit Großes leisten kann. Das Wirkungsfeld ist nicht so klein, wie es scheinen möchte. Ich kann als Botaniker constatiren, daß die Zahl der ordentlichen Hörer für Botanik (& für Zoologie) zwischen 60 & 80 schwankt. Für mikroskopisch-botanische Curse (2-stündig) stellen sich seit mehreren Semestern jeweilen ca 30 Studierende ein, die Theilnehmer des botanisch-mikroskopischen Vollpraktikums nicht inbegriffen.

Wie nun? wen soll unsere Fakultät für diesen wichtigen Posten in Vorschlag bringen? ||

Nun kam mir dieser Tage die Idee, Sie in allem Vertrauen anzufragen, ob Sie im Falle wären, einen ihrer früheren tüchtigsten Schüler uns empfehlen zu können.

Ein erstes Erforderniß ist selbstverständlich die wissenschaftliche Befähigung, dann ein weiteres Haupterforderniß: die Gabe, in fließendem Vortrag anregend & begeisternd wirken zu können; ein drittes: tüchtige Arbeitskraft & ächte Schaffenslust. Ein viertes möchte uns weiterhin sehr angenehm sein: wenn der Vorzuschlagende Schweizer von Geburt wäre, weil wir hier in Zürich so häufig die Beobachtung machen, daß die herberufenen Ausländer, sobald sie Gelegenheit haben, im Ausland – zumal in Deutschland – eine oeconomisch etwas besser dotirte Professur zu erhalten, uns davon laufen.

Ist nicht Herr Prof. Dr. Arnold Lang, den Sie dort in Jena zu so großen Ehren gezogen, ein geborner Schweizer?

Wäre dies nicht der rechte Mann auf den hier zu schaffenden Lehrstuhl für Zoologie?

Würden Sie uns denselben gönnen?

Wäre überhaupt Aussicht vorhanden, wenn ein Ruf an Herrn Prof. Lang in dieser Art an ihn ergänge, ihn auch wirklich zu gewinnen?

Ich setze voraus, daß diese unsere Sache Sie selbst nicht wenig interessiren wird. Ja, ich stelle mir sogar vor, daß Sie mit der glücklichen Erledigung dieser unserer wichtigen Sache gewiß sympatisiren.

Darf ich Sie bitten, hochverehrtester Herr College, diese Zeilen als Vertrauenssache zu behandeln und sie gelegentlich einer Antwort zu würdigen. Ich wiederhole, daß unsere Fakultät Alles thun wird, für die Vertretung des Faches der Zoologie eine würdige Kraft zu gewinnen. Wenn Sie uns zur Lösung dieser großen Aufgabe gütigst mithelfen, so machen Sie sich c auch an diesem Ort für die Weiterentwicklung der guten Sache in hohem Maße verdient. Mögen Sie sich dereinst auch dieses Erfolges freuen können!

Mit den besten Wünschen zum bevorstehenden Zeitenwechsel & weiter hinaus:

Ihr herzlich ergebener

A. Dodel-Port

a irrtüml.: Frei; b eingef.: haben; c gestr.: ja

 

Letter metadata

Verfasser
Empfänger
Datierung
27.12.1887
Entstehungsort
Entstehungsland
Zielort
Jena
Besitzende Institution
EHA Jena
Signatur
EHA Jena, A 3245
ID
3245