Haeckel, Ernst

Ernst Haeckel an Max Fürbringer, Jena, 30. Juli 1905

Jena, 30. Juli 1905

Lieber Freund!

Mit Bedauern ersehe ich aus Deinem 1. Brief, dass Du den Sinn meines unbedeutenden Vortrages über die Biologie in Jena missverstanden und den Schlussatz (Seite 17) wohl übersehen hast. Zu richtiger Beurteilung bitte ich Dich folgende Tatsachen zu erwägen:

I. Der Vortrag, zu dem ich wider Wunsch genötigt wurde, ist ganz frei gehalten und sollte nicht gedruckt werden.

II. Professor Walther hatte den Vortrag (ohne mein Wissen) stenographieren lassen und bat nachher dringend um Aufnahme in die Zeitschrift.

III. Absichtlich habe ich mich auf die Feier der grossen Jenenser Biologen während der ersten und zweiten Hälfte des XIX. Jahrhunderts beschränkt, die alle schon dahin geschieden sind.

IV. Von ihren zahlreichen Schülern und Nachfolgern, unter denen Du eine so hervorragende Stelle einnimmst, die noch lebend wirken, konnte ich keinen nennen (– sowie ich auch von meinen eignen Arbeiten nichts erwähnt habe).

V. Diese Resignation war allein schon durch die persönliche Anwesenheit von Oscar Hertwig geboten, der als Vertreter der Berliner Akademie der Wissenschaften zur Schleiden-Feier hergesandt war.

VI. Ich hätte von Oscar Hertwig nur sagen können, dass er die hier vor 30 Jahren geleisteten Phylogenetischen Arbeiten jetzt als Jugendsünden bereut und sich der „exakten“ Biologie (à la His – Roux) zugewandt hat. Es ist Dir vielleicht || entgangen, dass Oscar in seiner letzten grossen Rede über die Aufgaben der Anatomie (1904) die vergleichende Anatomie als Wissenschaft gestrichen und nicht einmal Johannes Müller die Berechtigung zuerkannt hat, dieselbe zu vertreten.

In der Hoffnung, dass Dich diese Aufklärungen beruhigen, verbleibe ich mit besten Grüssen

Dein alter Ernst Haeckel.

 

Briefdaten

Gattung
Verfasser
Empfänger
Datierung
30.07.1905
Entstehungsort
Entstehungsland
Besitzende Institution
EHA Jena
Signatur
EHA Jena, A 32372
ID
32372