Ernst Haeckel an Max Fürbringer, Jena, 28. November 1902
Jena, 28.11.1902.
Lieber Freund Fürbringer!
Mein letzter, etwas ärgerlicher Brief, für dessen freundliche Beantwortung ich Dir danke, wird Dich vielleicht befremdet haben; ich muss daher, zu meiner Entschuldigung und zur Aufklärung eines Missverständnisses, nochmals darauf zurückkommen, und bitte Dich folgende Punkte zu berücksichtigen:
1.) Als Gegenbaur vor 27 Jahren (1875) die Herausgabe seines Morphologischen Jahrbuchs oft mit mir besprach, wünschte er, dass ich mit ihm gemeinsam die Redaction desselben übernehme; ich lehnte aber nach reiflicher Ueberlegung ab, weil ich mich gar nicht zum Redacteur eigne.
2.) Unsere Absicht bei Gründung dieser neuen Zeitschrift war, nur solche Arbeiten aufzunehmen, welche auf dem Boden unserer Entwicklungslehre stehen, und im Sinne meiner „Generellen Morphologie“ die anatomischen und autogenetischen Probleme phylogenetisch zu erklären suchen. Rein descriptive Arbeiten (ohne Gedanken) sollten ebenso ausgeschlossen sein, wie antidarwinistische (– für diese giebt es Ablagerungsstätten genug!)
3.) Daraus wirst Du meine Betrübnis begreifen, als ich das Schlussheft des letzten (30. Bandes) durch die jämmerlichen Arbeiten von Fleischmann und Consorten entstellt sah.
4.) Meine Ansicht über Herrn Fleischmann habe ich im 31. Bande unserer Jena. Zeitschrift niedergelegt (Aufsteigende und absteigende Zoologie S. 469–474). Sie wird von den meisten Fachgenossen getheilt – jedoch mit dem Unterschiede, dass ihn die einen für einen gewissenlosen Renegaten, die andern für einen confusen Narren halten; seine morphologischen Ansichten verdienen überhaupt nicht die Bezeichnung wissenschaftlich.
5.) Seitdem Fleischmann sein albernes Buch gegen den Darwinismus (Aufgang und Niedergang einer wissenschaftl. Hypothese) veröffentlicht hat, wird er von allen Gegnern der Entwicklungslehre (und speciell des Darwinismus) als rettender Engel verherrlicht.
Ich brauche Dir wohl nicht hinzuzufügen, dass meine (vielleicht unbefugt erscheinende) Einmischung in diese bedauerliche Geschichte rein sachliche Gründe hat, und nicht die mindesten persönlichen! Ich kenne Fleischmann gar nicht; ich muss jedoch befürchten, dass sein Erscheinen im „Morphol. Jahrbuch“ von allen unseren Gegnern als ein grosser Triumph gefeiert werden wird.
Natürlich hoffe ich, dass dieser (– mich ungewöhnlich, – des Princips halber! erregende) – Zwischenfall weder auf meine nahen freundschaftlichen Beziehungen zu Dir, noch zu unserm Freunde Ruge (als Redacteur des M. Jahrb.) irgend einen Schatten werfen wird.
Mit herzlichen Grüssen
Dein alter Ernst Haeckel.
P. S. Es dürfte gut sein, wenn Du diesen Brief Ruge mittheilst.