Haeckel, Ernst

Ernst Haeckel an Max Fürbringer, Jena, 6. Oktober 1902

Jena, 6. Oct. 1902.

Lieber Freund!

Beifolgend sende ich Dir 2 Exemplare des VII. Heftes der „Kunstformen“, für Dich und Braus; ferner 2 Exemplare der Broschüre von H. Schmidt über das Biogen. Grundgesetz, für Dich und Gegenbaur; letzteres darf ich Dich wohl bitten, nur dann abgeben zu lassen, wenn Du glaubst, dass G. noch irgend ein Interesse daran haben wird; sonst gieb es an Braus oder Göppert. Wie ich eben von Maurer höre, geht es leider mit G. langsam abwärts, glücklicher Weise jedoch so, dass er selbst wenig darunter leidet. Der Versuch einer Annäherung meinerseits würde keinen Zweck mehr haben.

Deinen freundlichen Gruss aus den Alpen fand ich hier vor kurzem bei der Rückkehr von meiner 6 wöchentl. Ferien-Reise. Schade, dass wir uns nicht irgendwo getroffen haben. Meine Reise war grösstenteils vom Wetter begünstigt, hat mein Skizzenbuch (50 Blätter) gefüllt, und mich durch die verschiedenartigsten Eindrücke sehr erfrischt:

Essen (Krupp!), Düsseldorf, Eifel, Trier, (Heiliger Rock!!) Vogesen, Algäu (Sonthofen), Bodensee, Südtyrol, (von Trient nach Campiglio, Tonale, Camonica, Iser-See, Garda-See), München, Laufen kann ich noch leidlich mit meinen 68 Jahren, aber nicht mehr steigen! Senectus! –

Meine arme Frau hatte inzwischen leider einen Anfall von Herzkrampf und musste mehrere Wochen zu Bett liegen; jetzt geht es wieder leidlich. –

Müller mit Tochter haben sehr anstrengende Gletscher-Tou¬ren im Adamello-Gebiet gemacht (– ich sah mir dies von unten an!). Die jüngere Fräulein Dalmer (Sophie) hat sich vor 3 Tagen durch || Erhängen vom Dasein erlöst; die Aermste war von der Angst gequält, ebenso geisteskrank zu werden, wie ihre beiden Brüder. Und dabei lebt die alte Mutter noch! –

Der „liebende Vater im Himmel“ scheint an derlei Familien-Tragödien seinen besonderen Spass zu haben! Hoffentlich geht es Dir und den Deinigen recht gut; von Maurer hörte ich, dass Euer Palazzo am Neckar-Ufer sehr schön ist, und dass seine Opulenz im richtigen Verhältnis zu dem glänzenden Heidelberg steht – (gegenüber unsrem dürftigen Jena!).

Mit besten Grüssen von Haus zu Haus

Dein treuer alter

Ernst Haeckel.

(P.S. Beachte die Kritik von Oskar Hertwig durch H. Schmidt, S.88; auch Keibel hat er gut beleuchtet!).

 

Letter metadata

Gattung
Verfasser
Empfänger
Datierung
06.10.1902
Entstehungsort
Entstehungsland
Besitzende Institution
EHA Jena
Signatur
EHA Jena, A 32355
ID
32355