Jena 13. März 1914.
Hochverehrter und lieber Freund!
Mit herzlichster Teilnahme erfuhr ich durch Ihren lieben Brief vom 15.2, daß Ihre geliebte Mutter nach schwerem Leiden verschieden ist, und daß sie zu spät nach Europa zurückkehrten um ihr noch ein letztes Lebewohl zu sagen. Da ich ebenso wie Sie mit der innigsten Liebe und Dankbarkeit an der teuren Mutter gehangen habe, weiß ich Ihren Schmerz um den unersetzlichen Verlust voll zu würdigen!
Entschuldigen Sie freundlichst, daß ich Ihr freundliches Glückwunschschreiben zu meinem 80. Geburtstage erst jetzt beantworte. Ich fand dasselbe aber erst nach meiner Rückkehr von Leipzig hier vor, unter einem Haufen von 1600 Postsendungen, die sich während meiner Abwesenheit hier angesammelt hatten. ||
Für die hochherzige Spende von 1500 Mk, die Sie mir als wertvolles Geburtstags-Geschenk beilegten, sage ich Ihnen meinen ganz besonderen Dank! Ich werde, Ihrem Wunsche entsprechend, 1000 Mk, für das Phyletische Museum verwenden, und zwar zur Ausstattung des Gedenksaals im Archiv, in welchem nicht allein die Dokumente zur Geschichte der Entwickelungslehre ausgestellt werden, sondern auch die bezüglichen Kunstwerke und andere Ehren-Geschenke, welche mir von meinen Schülern und Anhängern gestiftet worden sind. Ob ich die übrigen 500 Mk auch noch für diesen Zweck oder für die geliebte „Ammerbacher Platte“ oder für den Ernst Haeckel Schatz für Monismus verwende, möchte ich erst entscheiden, wenn in nächster Zeit die Bedürfnis-Frage dieser Stiftungen sich klären wird. ||
Wie Sie aus den Zeitungen ersehen haben werden, hat die allgemeine Teilnahme an der Vollendung meines 80. Lebensjahrs ganz ungewöhnliche Dimensionen angenommen. Ich werde Ihnen mehrere darauf bezügliche Bücher sofort zusenden, sobald ich Ihren Aufenthalt in nächster Zeit erfahre.
Einstweilen sende ich Ihnen nur einige kleine Drucksachen und Bilder.
Um allen Feierlichkeiten und persönlichen Ehrungen zu entgehen, floh ich schon am 12. Februar zu meiner Tochter nach Leipzig und habe dort im engsten Familien Kreise sehr angenehm stille Tage verlebt.
Hoffentlich sehe ich Sie noch im Laufe dieses Frühjahrs oder Sommers hier und kann Ihnen dann Viel erzählen und zeigen. Einstweilen bleibe ich mit herzlichsten Grüßen, auch von meiner Frau, Ihr treu ergebener
Ernst Haeckel.