Ernst Haeckel an Paul von Rautenfeld, Jena, 21. Dezember 1906

ZOOLOGISCHES INSTITUT

DER UNIVERSITÄT JENA.

Jena 21.12.1906.

Hochverehrter Freund!

Heute erhielt ich hier Ihren Brief vom 15.11., für dessen freundlichen Inhalt ich bestens danke; ebenso für das October-Heft des „Monist“, im dem Sie den wahren Monismus gegen die mystische Varietät in Schutz nehmen, die Dr. Paul Carus cultivirt.

Ich habe schon seit längerer Zeit bemerkt, wie dieser Metaphysiker ( – Sohn Preußischen Superintendenten! – ) – immer mehr zum Dualismus übergeht. Dasselbe geschieht bei vielen Anderen, – auch Naturforschern! – die vor den letzten Consequenzen unseres reinen Monismus zurückschrecken und vor Allem ihre teure „unsterbliche Seele“ in Sicherheit bringen wollen. ||

Wegen der unzähligen Angriffe, die fortdauermd von den verschiedensten Seiten gegen mich gerichtet werden, brauchen Sie sich übrigens nicht zu beunruhigen; sie lassen mich völlig kalt. Neben den sachlichen Gegensätzen spielt dabei eine große Rolle der liebe Neid, besonders wegen des seltenen Erfolges der „Welträthsel“. Jetzt sind von diesem Buche bereits 200 Auflagen (à 1000) erschienen und 15 verschiedene Übersetzungen. Von dem Supplement-Bande: „Lebenswunder“ ist jetzt auch eine billige Volksausgabe (à 1 Mk) erschienen. Von den „Wanderbilder“ werden die letzten 4 Hefte (Tafel 25-40) im Januar 1907 erscheinen u. Ihnen zugesandt werden. ||

Da Sie sich für meine geliebten Radiolarien so interessiren, sende ich Ihnen einliegend eine Probe des reinen „Radiolarien-Schlammes, den der „Challenger“ am 6. September 1875 aus dem Centrum des Aequatorial-Pacifik (Station 271) gehoben hat, aus 2425 Faden Tiefe (circa 4400 Meter). Jedes Körnchen des feinen weißen Pulvers ist die Kieselschale eines Radiolar. Sie müssen das Couvert sehr vorsichtig öffnen u. das weiße Pulver in ein Uhrschälchen gießen, dann mit einem Tropfen absoluten Alkohol oder Terpetin begießen und hierauf aus diesen oder aus Nelkenoel in einen Tropfen Canada-Balsam auf Objectträgera übertragen, mit Deckgläschen zudecken und vorsichtig erwärmen; Deckgläschen nicht drücken. ||

Mit meiner Gesundheit bin ich jetzt ziemlich zufrieden, obgleich die „senile Rückbildung“ sich immer mehr bemerkbar macht, besonders im Gedächniß und Bergsteigen. Doch kann ich immer noch meine geliebte „Ammerbacher Platte“ (1 Stunde entfernt, über Lichtenhain) besuchen; wobei ich stets Ihrer dankbar und freundlich gedenke.

Hoffentlich treffen Sie mich noch „Inter vivor“ an, wenn Sie im Sommer 1908 Europa wieder besuchen (speciell Jena!).

Mit besten Wünschen für das kommende Neujahr

Ihr treu ergebener

Ernst Haeckel.

a eingef.: auf Objectträger

Brief Metadaten

ID
32194
Gattung
Brief mit Umschlag
Entstehungsort
Entstehungsland aktuell
Deutschland
Entstehungsland zeitgenössisch
Deutsches Reich
Zielland
China
Datierung
21.12.1906
Sprache
Deutsch
Umfang Seiten
4
Umfang Blätter
2
Format
13,9 x 22,0 cm
Besitzende Institution
EHA Jena
Signatur
EHA Jena, A 32194
Zitiervorlage
Haeckel, Ernst an Rautenfeld, Paul von; Jena; 21.12.1906; https://haeckel-briefwechsel-projekt.uni-jena.de/de/document/b_32194