Ernst Haeckel an Paul von Rautenfeld, Jena, 27. April 1906

Jena 27. April 1906.

Lieber und verehrter Freund!

Als mir am 16. Februar dieses Jahres, zu meinem 72sten Geburtstage, eine überraschende Menge von Glückwünschen und von Beweisen herzlicher Teilnahme gespendet wurde, hat mich kein Geschenk so sehr erfreut, wie Ihre gütige Spende zu der „Ernst-Haeckel-Stiftung“. Mein Schwiegersohn, Prof. Hans Meyer, an den Sie dieselbe geschickt hatten, benutzte dieselbe zum Ankauf des schönsten Punktes in Jenas malerischer Umgebung, der „Ammerbacher Platte“; eines hochgelegenen Felsens, der seit 45 Jahren meine Lieblings-Punkt ist, und auf dessen Höhe, mit prachtvoller Aussicht auf das Saaltal und seine Waldberge, ich viele der glücklichsten Stunden genoß. ||

So bin ich also nun durch Ihre Güte wirklicher „Großgrundbesitzer“ in Jena’s Flur und gedenke jedesmal, wenn ich jetzt diesen auserlesenen Erdenfleck besuche und mich seiner Naturschönheit erfreue, mit Dank an Ihr freundschaftliches Wohlwollen. Der Zufall fügte es, daß mir gleichzeitig eine ähnliche Ehrung durch die hiesige „Kernberg-Gesellschaft“ zu Teil wurde; sie taufte einen neu zugänglich gemachten herrlichen Aussichtspunkt auf der entgegengesetzten Sete des Saaltals ( – gerade meiner „Ammerbacher Platte“ gegenüber – ) „Ernst-Haeckel-Höhe“ und errichtete dort eine Bank mit meinem Namen. So bin ich also nun in doppelter Weise monumental mit meinem geliebten Saaltal von Jena geographisch verbunden. ||

Ich würde Ihnen schon früher geschrieben haben, wenn es mir nicht – leider – seit ½ Jahr recht miserabel gegangen wäre. Im letzten Herbste hatte ich mir einen bösen Anfall meines alten Übels – Gelenk-Rheumatismus – zugezogen. Dazu kam ein Herzleiden, mit Schlaflosigkeit und nervöser Depression. Ich mußte den größten Teil des Winters im Zimmer bleiben und meine Vorlesungen aussetzen. Erst seit einem Monat geht es mir besser; ich gehe täglich wieder aus und werde am 1. Mai meine Vorlesungen wieder aufnehmen. Mit dem eigentlichen Arbeiten wird es aber wohl zu Ende sein; der größte Teil meiner disponiblen Zeit wird durch die enorme „Welträthsel-Correspondenz“ in Anspruch genommen; von der deutschen Ausgabe dieses Buches sind jetzt 200 Tausend Exemplare erschienen; außerdem 15 verschiedene Übersetzungen ( – auch Japanisch! –). ||

Inzwischen hat die Verlagshandlung Köhler in Gera eine Sammlung von 24 Blättern „Wanderbilder“ in Farbendruck herausgegeben, Reproductionen von meinen Landschafts-Aquarellen aus Ceylon und Insulinde. Ich hatte Ihnen diese Bilder ( – die sehr verschieden ausgefallen sind – ) zusenden wollen; ich weiß aber nicht, ob der Verleger meinen bezüglichen Auftrag ausgeführt hat; er ist ein sonderbarer Kauz.

Mit Freuden habe ich erfahren, daß Ihr Augenleiden gehoben ist, und daß Sie sogar mit dem Mikroskop die Wunder des „Plankton“ studiren können. Wenn Sie in einigen Jahren nach Europa zurückkehren und mich dann noch lebend in Jena finden, wird es mir eine besondere Freude sein, Sie noch weiter in diese mikroskopischen Geheimnisse einzuweihen – zugleich aber Ihnen die makroskopischen Reize meines „Grundbesitzes“ zu zeigen.

Mit herzlichen Grüßen und besten Wünschen

Ihr alter Ernst Haeckel.

Brief Metadaten

ID
32193
Gattung
Brief mit Umschlag
Entstehungsort
Entstehungsland aktuell
Deutschland
Entstehungsland zeitgenössisch
Deutsches Reich
Zielland
China
Datierung
27.04.1906
Sprache
Deutsch
Umfang Seiten
4
Umfang Blätter
2
Format
14,4 x 22,2 cm
Besitzende Institution
EHA Jena
Signatur
EHA Jena, A 32193
Zitiervorlage
Haeckel, Ernst an Rautenfeld, Paul von; Jena; 27.04.1906; https://haeckel-briefwechsel-projekt.uni-jena.de/de/document/b_32193