Ernst Haeckel an Luise Hilger, Jena, 2. November 1918

Jena 2. Novbr 1918.

Liebe und hochverehrte Freundin!

Es ist wirklich rührend gut von Ihnen, daß Sie in dieser entsetzlichen Zeit, wo die ganze Welt auf den Kopf gestellt wird, Sich um mein Wohl bemühen und meine Ernährungs-Schwierigkeiten durch Ihre wiederholte Sendung von wertvollem Proviant zu mildern suchen. Ich danke Ihnen dafür von Herzen und kann Ihnen versichern, daß ich jeden Morgen beim Frühstück Ihren kostbaren Honig und beim Abendbrot Ihren Käse, Eier, Kuchen u. s. w. mit gerührten Gedanken an Ihre freundschaftlichen Gesinnungen genieße.

Leider kann ich dieselben jetzt nicht durch eine literarische oder a malerische Gegengabe erwidern; ich bin jetzt seit einem Jahr ganz unproduktiv geworden und fühle die drückende Last der 84 Jahre täglich mehr. ||

Der furchtbare und unerwartete Zusammenbruch unseres deutschen Vaterlandes, der seit 4 Wochen fortschreitet und den Verlust unserer ganzen mühsam errungenen Weltstellung bedeutet, hat mich auf das Tiefste deprimiert! Welche furchtbaren Verluste haben wir vergeblich zum Opfer gebracht!

Es ist tragisch, wie unser gutes deutsches Volk seinen Mangel an politischem Talent büßen muß; Regierung und Reichstag wetteifern an unglücklichen Beschlüssen, und die angelsächsische Rasse triumphiert!

– Die lästige Grippe, die mich seit 4 Wochen plagt und im Zimmer gefangen hält, hat sich in den letzten Tagen gebessert; – auch bei meinen beiden Dienstmädchen, deren Erkrankung die häusliche Existenz sehr erschwerte. Hoffentlich sind Sie von dieser Plage verschont geblieben!

Mit besten Grüßen an Ihren lieben Mann treulichst Ihr dankbar ergebener

Ernst Haeckel.

a gestr.: gst

Brief Metadaten

ID
32092
Gattung
Brief ohne Umschlag
Empfänger
Entstehungsort
Entstehungsland aktuell
Deutschland
Entstehungsland zeitgenössisch
Deutsches Reich
Datierung
02.11.1918
Sprache
Deutsch
Umfang Seiten
1
Umfang Blätter
1
Besitzende Institution
Privatbesitz
Zitiervorlage
Haeckel, Ernst an Hilger, Luise; Jena; 02.11.1918; https://haeckel-briefwechsel-projekt.uni-jena.de/de/document/b_32092