Haeckel, Ernst

Ernst Haeckel an Luise und Julius Hilger, Jena, 8. Februar 1919 [Abschrift]

Jena, 8.2.1919

Liebe und hochverehrte Freunde!

Sie schreiben mir von einem neuen „Geburtstags-Paket“, durch das Sie mich in 8Tagen (zum 16.2.) erfreuen wollen und bitten um Mitteilung etwaiger Wünsche? Aber Sie haben durch Ihre wiederholten inhaltreichen Gaben schon so viel im letzten Jahre mein leibliches Wohl getan, daß ich nicht wagen darf, Sie noch mehr in Anspruch zu nehmen. Höchstens würde ich um etwas Cacao u. Zucker bitten, mein tägliches Frühstück, das hier (ebenso wie Chocolade) nicht mehr zu erlangen ist. Falls in Lüneburg eine Weinhandlung existiert, welche süße Südweine (– gleichviel welcher Art, z.B. griechische „Mavrodaphne“a oder Patras, oder auch spanische Madeira –) – abgeben kann, würde ich Sie bitten, mir deren Adresse u. evtl. Preislisten mitzuteilen, damit ich mir käuflich einige Flaschen verschaffen kann; hier ist nichts Gutes zu haben. Mein Arzt hatte mir vor 2Jahren [geraten], als meine Herzschwäche (mit Schwindel u. plötzlichen Ohnmachtsanfällen) bedenklich wurde, dieselbe durch sofortige kleine Dosen von Cognac, Arrac oder süßen Südwein zu bekämpfen. Dieses Stärkungsmittel hat sich vorzüglich bewährt; allein der geringe Vorrat, den ich davon hatte, ist jetzt zu Ende gegangen. Ich bitte Sie jedoch ausdrücklich, nichts derartiges für mich zu kaufen, sondern mir eine Adresse anzugeben, von der ich mir diese „Sanitäts-Alkoholica“ eventuell selbst käuflich erwerben kann! –

Übrigens bin ich selbst immer ein schwacher Weintrinker gewesen u. genieße gewöhnlich zu Mittag nur ½Glas leichten Rheinwein (einen Bairischen halben Schoppen, der in der „guten alten Zeit“ 20–30 Pfennig kostete)! Von diesem habe ich noch einen Vorrat von ein paar Dutzend Flaschen, also genügend – diese beifolgende Confession nur ganz vertraulich! –

Mein Befinden, das in den letzten 3Monaten jämmerlich war, unter dem Druck der furchtbaren Revolutions-Folgen und der trostlosen Bedrängnis unseres geliebten Vaterlandes! – hat sich seit einer Woche gebessert. Ich kann wieder besser schlafen u. suche meinen persönlichen Trost im Versenken in alte teure Erinnerungen; male wieder kleine Landschaftsbilder nach alten Skizzenbüchern etc. –

Die große deutsche „Constituierende National-Versammlung“, die seit vorgestern im benachbarten Weimar tagt, hat ja ihre „weltgeschichtliche Mission“ verhältnismässig gut eingeleitet, wie auch die Wahlen zu derselben bei uns „im ganzen befriedigend“ verlaufen sind. (Sonst überwiegen bei mir pessimistische Betrachtungen!! –).

Mit herzlichsten Grüßen an Sie Beide treulichst

Ihr alter

Ernst Haeckel

a irrtüml.: „Maurodaphne“

 

Letter metadata

Verfasser
Empfänger
Datierung
08.02.1919
Entstehungsort
Entstehungsland
Zielort
Lüneburg
Besitzende Institution
Unbekannt
ID
32085