Ernst Haeckel an Käthe Besser, Baden-Baden, 27. September 1898

Baden-Baden

Hôtel de France

27. Sept. 1898.

Verehrteste Frau Doctor!

Ihr lieber Brief, der erst „heute“ über Jena (– mit einem Packet anderer Briefe –) in meine Hände gelangte, fiel wie ein leuchtender Stern in das düster öde Dasein, zu welchem ich hier als echter „Badegast“ verdammt bin. Für mich gehört nämlich das beliebte „moderne Badeleben“ zu den schrecklichsten Daseinsformen des Culturmenschen; und besonders die verhaßte, leider unvermeidliche „Table d’hôte“ wir mir nur dadurch einigermaßen erträglich, daß ich die arisch-semitische Menagerie an deren Futterstätte vergleichend-anatomisch und physiologisch betrachte, und für meine phylogenetischen Ideen zu verwerthen suche. || Im Übrigen ist ja Baden wohl das Erträglichste unter den Deutschen Bädern, und die herrliche Umgebung, besonders die prachtvollen Edeltannen und Kastanien der stattlichen Wälder, sind bei dem andauern sonnigen Herbstwetter täglich eine Quelle erfrischenden Naturgenusses. Mein alter Freund, der Gelenk-Rheumatismus, ist auch so liebenswürdig gewesen, sich hier baldigst zurückzuziehen, so daß ich täglich ein paar Stunden ohne Beschwerden wandern kann. Den Thermal-Nymphen (d. h. den idealen Phantomen, nicht den realen Pithecanthropa-Heldinnen der hiesigen Promenaden!) muß ich auch wirklich dankbar sein; denn die „Wildbäder“ mir ihren musterhaften Einrichtungen sind wirklich vorzüglich, und scheinen mein altes Knochengerüst wieder etwas zu regeneriren! ||

Daß meine bescheidene Bilder-Sendung und die „Indischen Reisebriefe“ Ihren Beifall gefunden haben, gereicht mir zur „besonderen“ Freude. Wenn ich auch bei dem hohen poetischen Fluge Ihrer liebenswürdigen „Seele“ von dem gespendeten Lobe 33⅓ Procent abziehen muß, genügen doch die bleibenden 66⅔ Procent, um mich recht eitel zu machen! (–Sie sehen, wie schön ich rechnen kann! –). Übrigens gehören wirklich diese Ceylon-Erinnerungen zu dem Dankbarsten, was meine – meistens sehr langweilige! – Feder producirt hat; sie haben mir viele freundliche Briefe, besonders auch von weiblichen Lesern, eingetragen; ich habe oft bedauert, die beabsichtigten Zusätze nicht ausgeführt zu haben. ||

Nachdem Sie die Freuden der Düsseldorfer Naturforscher Versammlung glücklich überstanden haben, werden Sie gewiß den schönen sonnengoldigen „Herbst am Rhein“ in Ihrer idyllischen Villa recht behaglich genießen. Wie gerne folgte ich da den kleinen „Phantasie-Schiffchen“, die ich von hier den Rhein hinunterschwimmen lasse, öfters persönlich!

Inzwischen tröste ich mich mit der schönen Hoffnung, Sie und Ihren lieben Mann nächsten April an der Riviera wiederzusehen! Zunächst aber erfreuen Sie mich wohl auch „hier“ durch ihr versprochenes Bild? Ich wohne hier sehr hübsch (allerdings 4 Treppen hoch!) im Hôtel de France, der Trinkhalle schräg gegenüber, mit freiem Blick auf den herrlichen Tannenwald und die griechische Michaels-Kapelle. Ich bleibe bis 10. October.

Mit herzlichsten Grüßen an Sie u. Ihre liebe Familie

Ihr treuer

E Haeckela

a am linken Rand von S. 4.: Mit herzlichsten … Haeckel.

Brief Metadaten

ID
31846
Gattung
Brief ohne Umschlag
Empfänger
Entstehungsort
Entstehungsland aktuell
Deutschland
Entstehungsland zeitgenössisch
Deutsches Reich
Datierung
27.09.1898
Sprache
Deutsch
Umfang Seiten
4
Umfang Blätter
2
Format
12,4 x 20,0 cm
Besitzende Institution
EHA Jena
Signatur
A 31846
Zitiervorlage
Haeckel, Ernst an Besser, Käthe; Baden-Baden; 27.09.1898; https://haeckel-briefwechsel-projekt.uni-jena.de/de/document/b_31846