ZOOLOGISCHES INSTITUT
Jena
18. Febr. 1899.
Verehrteste Frau Doctor!
Unter den vielen Condolenz Schreiben, die mich vorgestern am 65.st Geburtstag an die rasche Flucht der Jahre erinnerten, war mir Ihr lieber Brief ganz besonders werth, – abgesehen von dem duftigen Geschenk, das Sie mir mit meiner Lieblings-Frucht von Ceylon, der herrlichen Ananas zu machen die Freundlichkeit hatten. Vielen herzlichen Dank für Beide Gaben! Sie erinnern mich lebhaft an die schönen Tage, die ich vor ½ Jahr in der Villa Victoria verleben durfte. ||
Was Sie mir über Ihre Gesundheit schreiben, ist zwar nicht befriedigend, aber doch besser als ich fürchtete; die Diagnose, welche die weisen Hakims in der Reichsmetropole, namentlich Sevator (– mit dem ich 1857 zusammen das medicinische Staats-Examen in Berlin machte –) gestellt haben, ist nicht so schlimm; mein College Ziehen hier hat mir von einem Jahr ungefähr dasselbe gesagt: Herz unbefriedigend (Neurose, Erweiterung etc). Ich hoffe, daß Ihnen die verordnete Cur in Baden oder Montreux (– Beides reizende Orte! –) recht gut bekommen wird. ||
Es freut mich, aus Ihrem Briefe zu ersehen, daß auch auf Sie die herrlichen, weihevollen Reden unseres allverehrten gottbegnadeten Kaisers: „Wilhelm der Schauspieler“, auf dem denkwürdigen Kreuzzuge von 1898, denselben tiefen Eindruck gemacht haben, wie auf mich! Welche Fülle von tiefen und klaren Gedanken in diesem scheinbar blödsinnigen mystischen Geschwätz! Nur die letzte „Brandenburger Rede“ ist noch bewunderungswürdiger, ich möchte sagen: „göttlicher“! Sie werden daher nun mit der tiefsten Entrüstung die schamlose Verspottung dieser „heiligsten Mysterien“ lesen, welche in der beifolgenden Nr. 212 von „Le Rire“ enthalten ist. ||
– Mein Geburtstag ist für mich, wie Sie wohl wissen, seit 35 Jahren der traurigste Tag des Jahres. Als ich damals, an meinem 30. Geburtstag, ganz plötzlich meine innigst geliebte, unersetzliche, erste Frau verlor, wußte ich, daß das weitere Leben für mich nur noch als Kriegs-Knecht, – im „Kampfe um die Wahrheit“ – Werth habe.
Vorgestern (– wo ich mit dem Eintritt in das 66. Jahr officiell von meinen hiesigen Senats Pflichten entbunden wurde –) konnte ich a mir wenigstens sagen, daß ich nicht ganz umsonst ein Menschen-Alter gekämpft habe!
Mit herzlichsten Grüßen
Ihr treu ergebener Ernst Haeckel.
P. S. Seien Sie mit Nr. 212 vorsichtig! Sonst kommen wir noch Beide zusammen auf 3 Jahr in’s Gefängniß (schöne Aussicht! –).
a gestr.: mich