zoologisches institut
der universität jena.
jena, den 9.3.99.
Verehrteste Freundin!
Ihr letzter melancholischer Brief, mit den unerfreulichen Nachrichten über Ihren Gesundheits-Zustand, hat mich ordentlich besorgt gemacht. Wenn ich Ihnen nur helfen könnte, würde ich gewiß meine ganze (– seit 40 Jahren schlummernde! –) ärztliche Kunst dazu aufbieten! Ich habe wenigstens keinen Patienten umgebracht, und meine drei Patienten aus dem Jahre meiner Berliner Praxis (– Sprechstunde Morgens von 5–6 Uhr!) leben vielleicht heute noch, wenn Sie nicht der „liebe Gott“ inzwischen in sein Paradies geführt hat. ||
Hoffentlich haben Sie inzwischen das I. Heft meiner „Kunstformen der Natur“ erhalten; es würde mich freuen, wenn es gerade Ihren Beifall fände; da Sie aber freie Kunstkennerin und selbst Künstlerin sind, bitte ich um scharfe Kritik!
Eigentlich schreibe ich Ihnen heute diese Zeilen als „Spiritist“! Denn über der verschlossenen Thür meines Arbeitszimmers steht ein großer Anschlag: „Prof. H. ist auf 6 Wochen verreist u. kehrt am 20. April zurück.“ So muß ich lügen, um ganz ungestört im Zoologischen Institut || – in strengster Clausur! – meine schrecklichen „Welträthsel“ zu fördern; sie werden mich wohl die ganzen Oster-Ferien hier festhalten. Unsere schöne Riviera-Reise löst sich also in eine „Fata Morgana“ auf! Auch der Einladung des Herzogs von Meinigen, ihn dort in Cannes zu besuchen, werde ich nicht folgen können.
Hoffentlich höre ich bald von Ihnen und Ihrem lieben Manne, den ich herzlichst grüße, recht gut Nachricht. Zur Cur in Baden-Baden wünsche ich Ihnen von Herzen besten Erfolg u. schönstes Wetter!
Ihr treu ergebener
Ernst Haeckel.