Ernst Haeckel an Käthe Besser, Ajaccio, 29. September 1899

Ajaccio (Corsica) 29.9.99.

Verehrteste Freundin!

Da ich vermuthe, daß Sie von Ihrer Erholungsreise wieder nach Bonn zurückgekehrt sind, will ich Ihnen auch von der meinigen einen kurzen Bericht erstatten. Ich habe es oft bedauert, daß die Absicht, einen Theil derselben gemeinsam zu genießen und uns in Tyrol zu treffen, sich nicht ausführen ließ. Ich war aber durch die Überarbeitung des letzten Jahres, sowie durch die schweren Sorgen, welche mir der Gesundheits-Zustand meiner leidenden Frau und Tochter einflößten, so arg mitgenommen, daß ich einen sehr ungenießbaren Gesellschafter gespielt hätte. ||

Der erste Theil meiner Reise, in der zweiten Hälfte August, verlief recht angenehm. Ich ging über Zürich nach Chamonixa, das ich noch nicht kannte; Montblanc-Kette prachtvoll!b dann nach Haute Savoie weiter, zum herrlichen lichtblauen Lac d’Annecy.

Von Grenoble aus c unternahm ich als frommer Pilger die Wallfahrt zum „Grande Chartreuse“; – leider ohne das erwartete Wunder der „geistigen Wiedergeburt“ zu genießen. Die Alpen der Dauphineé sind eigenthümlich malerisch und wild. Am 7.9. traf ich in Marseille ein von wo ich in 16 Stunden hierher nach Ajaccio fuhr; die Sternen-Nacht auf dem Mittelmeer war herrlich. ||

Da ich es hier noch sehr heiß fand, ging ich zunächst auf 8 Tage in das rauhe Hochland von Corsica, dessen Schneeberge 9000 Fuß erreichen. Die wilden Schluchten derselben, mit vielen Wasserfällen, riesigen Granitblöcken, stattlichem Walde u.s.w. sind höchst großartig. Hier, wie in der Umgebung von Chamonixd, führte ich tüchtige Fußwanderungen aus, die mir sehr gut bekamen, ebenso wie die erfrischenden Bäder in den Gebirgsbächen und Seen. In dem einsamen Verkehr mit der gewaltigen Natur des Hochgebirges erholte sich mein angegriffenes Nervensystem sehr erfreulich, ebenso wie im Genusse des Meeres und seiner zoologischen Schätze. ||

Aus meiner Absicht, hier viele lebende „Kunstformen der Natur“ zu zeichnen, ist leider nicht viel geworden. Das Wetter ist fortdauernd schön, aber zu warm; die meisten Seethiere weilen noch in der kühlen Tiefe. Ich werde daher morgen Ajaccio verlassen und über Livorno nach Rom reisen. Dort denke ich einige Wochen zu bleiben, ehe ich nach Jena zurückkehre. (Briefe treffen mich in Rom unter der Adresse von Professore Grassi, Direttore dell’Istituto Zoologico).

– Inzwischen werden Sie durch Strauss meine „Welträthsel“ erhalten haben. Hoffentlich finden sie Ihren und Ihres lieben Mannes Beifall.

Mit freundlichsten Grüßen an Sie Beide, sowie auch an Fräulein Else,

Ihr treu ergebener E. Haeckel.

Von Hause habe ich jetzt bessere Nachrichten.e

a irrtüml: Chamounix; b eingef.: Montblanc-Kette prachtvoll!; c gestr.: wa; d irrtüml.: Chamounix; e Text weiter am linken Rand von S. 4: Von Hause … bessere Nachrichten.

Brief Metadaten

ID
31832
Gattung
Brief ohne Umschlag
Empfänger
Entstehungsort
Entstehungsland aktuell
Frankreich
Entstehungsland zeitgenössisch
Frankreich
Datierung
29.09.1899
Sprache
Deutsch
Umfang Seiten
4
Umfang Blätter
2
Format
14,1 x 22,3 cm
Besitzende Institution
EHA Jena
Signatur
A 31832
Zitiervorlage
Haeckel, Ernst an Besser, Käthe; Ajaccio; 29.09.1899; https://haeckel-briefwechsel-projekt.uni-jena.de/de/document/b_31832