Jena 19.2.1900.
Hochverehrte Freundin!
Seit 8 Tagen liege ich mit Fieber und starkem Bronchial-Catarrh zu Bett, als Opfer der hier grassirenden Influenza. Ich kann Ihnen daher heute nur kurz meinen herzlichen Dank für Ihren freundlichen Glückwunsch zum 67sten Geburtstag ausdrücken, und meinen nicht minder herzlichen Glückwunsch zur Verlobung Ihrer liebenswürdigen Tochter Else. ||
Wenn Ihr Schwiegersohn an Wuchs und Gesichtsbildung Ihrer Tochter ebenbürtig ist, muß es ein herrliches Paar sein!
Zu Ihrer neuen Würde als „katholische Schwiegermutter“ gratulire ich besonders!!
– Meine jetzige Misere (– auch Frau u. Tochter sind von der epidemischen Influenza ergriffen –) trage ich mit Geduld, als Folge des „Neides der Götter“. ||
Das letzte halbe Jahr brachte mir ungeahnte Erfolge. Von den „Welträthseln“ kommt schon (nach 5 Monaten) die IV. Aufl. (8.–10. Tausend). Ich bekomme von jedem Tausend 1500 Mark (Herr Strauss vermuthlich das Doppelte oder mehr).
– Dazu am 7. Januar die Überraschung des Bressa-Preises = 10.000 Lire. Ich habe in meinem ganzen Leben nicht so viel Mammon eingeheimst. Das nennt man „Glück“ – und verschweigt dabei wohlweislich, was Alles dem lieben Herzen fehlt! ||
Besondere Freude macht mir die lateinische Gedächtniß-Tafel (in Erz gravirt), welche mir die Römische Akademie der Wissenschaften (– dei Lincei) zu Weihnachten stiftete.
– Am 8. – 10. war ich in Meinigen als Gast des Herzogs, der mich (zum Ärger des Klerus) sehr auszeichnete.
Meine Reisepläne für dies Jahr sind noch ganz dunkel. Jedenfalls hoffe ich Sie und Ihren lieben Mann wiederzusehen.
Mit herzlichen Grüßen an Sie Beide und an das Brautpaar
Ihr treu ergebener E. Haeckel.