Ernst Haeckel an Marie Luise Nebuschka, Jena, 2. September 1917 [Abschrift]

Jena, 2.9.1917.

Liebes Fräulein!

Aus Ihren letzten Briefen habe ich mit Freude ersehen, daß Ihr Besuch in Jena Sie voll befriedigt hat, und daß namentlich der Genuß unserer schönen Natur im Saaltal Ihnen viele angenehme Eindrücke hinterlassen hat. Mir selbst war Ihr lieber Besuch eine sehr gewünschte Unterbrechung meines gewohnten Einsiedlerlebens in Villa Medusa. Es traf sich sehr hübsch, daß Sie gerade am 28.8., am 168. Geburtstag von Goethe, mir einen Gruß unseres größten Dichters und Denkers bringen konnten; und daß Sie in unserm schönen Botanischen Garten selbst Blätter von dem berühmten Goethe-Baum Ginko biloba für mich pflücken konnten. „Dieses Baumes Blatt, der vom Osten meinem Garten anvertraut“ (Suleika!) ist auch botanisch sehr merkwürdig, als die (phyletisch älteste) Form von Coniferen, die der gemeinsamen Bauform aller Nadelhölzer (Tannen, Lärchen, Kiefern) am nächsten steht.

Herzlichen Dank muß ich (als alter Blumenliebhaber und Botaniker) auch noch für die schönen Blumensträuße sagen, die Sie mir wiederholt von Ihren Excursionen in unsere malerischen Muschelkalkberge und in das romanische Schwarza-Tal mitzubringen die Güte hatten. Die dunkelblaue Gentiana pneumonanthe, die der großen Gentiana acaulis der Alpen sehr ähnlich ist, gehört zu meinen besonderen Lieblingen.

Sehr gefreut habe ich mich auch über das lebhafte Interesse, welches Sie meinem Schmerzenskinde, dem Phyletischen Museum entgegen gebracht haben, und besonders der Primaten-Sammlung, welche die „Abstammung der Menschen“ klar illustriert. ||

Wenn Sie einmal Zeit und Lust haben, meine dickleibige „Anthropogenie“ mit den darauf bezüglichen Illustrationen näher anzusehen, werde ich sie Ihnen gern leihweise schicken.

Hingegen habe ich sehr bedauert, daß ich nicht in der Lage war, Ihnen bezüglich Ihrer künstlerischen Lebenstätigkeit einen brauchbaren praktischen Rat erteilen zu können. Falls die Schwierigkeiten, die gerade jetzt auf dem Gebiet der Kunst und Literatur der erfolgreichen Arbeit entgegenstehen, zu groß sind, würde ich Ihnen doch raten, sich nach einem anderen Berufe umzusehen. In vielen Blättern (besonders im „Daheim“ werden ja fortwährend viele Stellen für gebildete junge Damen (als Gesellschafterinnen, Hausdame usw.) angeboten.

Indem ich Ihnen nochmals bestens danke und von Herzen alles Gute wünsche, bleibe ich in aufrichtiger Verehrung

Ihr treu ergebener

Ernst Haeckel.

Brief Metadaten

ID
31811
Gattung
Briefabschrift
Entstehungsort
Entstehungsland aktuell
Deutschland
Entstehungsland zeitgenössisch
Deutsches Reich
Datierung
02.09.1917
Sprache
Deutsch
Umfang Seiten
2
Umfang Blätter
2
Besitzende Institution
Unbekannt
Zitiervorlage
Haeckel, Ernst an Nebuschka, Marie Luise; Jena; 02.09.1917; https://haeckel-briefwechsel-projekt.uni-jena.de/de/document/b_31811