Ernst Haeckel an Marie Luise Nebuschka, Jena, 4. August 1917

Jena 4.8.1917.

Liebes Fräulein!

Die vertrauensvollen Mitteilungen über Ihre persönliche Lage und Ihre Wünsche haben meine aufrichtige Teilnahme erweckt. Ich würde Ihnen sehr gern helfen dieselben zu erfüllen, wenn ich nur wüßte: Wie? Seit mehreren Wochen haben meine Altersleiden, besonders Herzschwäche mit bedenklichen Zirkulations-Störungen, so zugenommen, daß ich kaum mehr fürchten muß, den bevorstehenden traurigen vierten Kriegswinter – und die trostlose Zeit die demselben wahrscheinlich folgen wird, zu erleben. Zudem bin ich seit 6 Jahren (in Folge eines Sturzes) gelähmt und kann nicht mehr ausgehen; auch lebe ich hier seit dem Tode meiner Frau – vor 2½ Jahren – ganz still und zurückgezogen. ||

Schriftlich kann ich Ihnen nicht alle Verhältnisse meiner unerfreulichen Lage auseinander setzen. Mündlich würde ich das gern tun, und Ihnen auch meinen Rat bezüglich Ihrer weiteren Lebensaufgabe erteilen – soweit das mir möglich ist. Aber ich fürchte, daß dieser kaum die weite und beschwerliche Reise von Dresden nach Jena lohnen wird; besonders unter den jetzigen, sehr erschwerten Verhältnissen des Verkehrs und der Ernährung, sowie der unerhörten Verteuerung alles Bedürfnisse. Wollen Sie dennoch den Versuch wagen, so bitte ich Sie, mich vorher von der Zeit Ihres beabsichtigten Besuchs in Kenntnis zu setzen. ||

Was Ihren künstlerischen Beruf betrifft, der da jetzt besonders ungünstige Aussichten hat, sowie dessen eventuellen Ersatz durch eine andere, geistig befriedigende Lebensaufgabe, so werde ich Ihnen kaum eine befriedigende Auskunft geben können. Ich bin von Natur sehr unpraktisch und habe auf viele ähnliche, an mich gelangte Anfragen gewöhnlich keinen nützlichen Rat erteilen können. –

Die nächsten 14 Tage bin ich noch ganz durch den Abschluß einer schwierigen Arbeit in Anspruch genommen; aber nach dem 20. August (bis zum 30.) wird mir Ihr Besuch willkommen sein. Indessen kann ich Ihnen keinen erfreulichen Erfolg davon versprechen.

Mit herzlichen Grüssen und besten Wünschen

Ihr aufrichtig ergebener

Ernst Haeckel.

Brief Metadaten

ID
31805
Gattung
Brief ohne Umschlag
Entstehungsort
Entstehungsland aktuell
Deutschland
Entstehungsland zeitgenössisch
Deutsches Reich
Datierung
04.08.1917
Sprache
Deutsch
Umfang Seiten
3
Umfang Blätter
2
Format
13,9 x 21,9 cm
Besitzende Institution
EHA Jena
Signatur
EHA Jena, A 31805
Zitiervorlage
Haeckel, Ernst an Nebuschka, Luise; Jena; 04.08.1917; https://haeckel-briefwechsel-projekt.uni-jena.de/de/document/b_31805