Ernst Haeckel an Carl Riess, Jena, 28. Juni 1918

Jena, den 28. Juni 1918.

Lieber Herr Riess!

Für Ihre wiederholten gütigen Proviantsendungen, die stärkenden wertvollen Alkoholica und besonders auch den herrlichen Schinken (– hier eine vielbewunderte Seltenheit –) sage ich Ihnen meinen herzlichsten Dank! Sie haben damit tatsächlich meinem schwachen, nur noch dürftig glimmenden Lebensflämmchen neue Nahrung für mehrere Monate zugeführt. Seit meinem schlimmen Sturze vor 3 Wochen (– als ich bei einer Hantel-Uebung plötzlich ohnmächtig wurde! –) geht es mit meiner senilen Lebenskraft immer weiter abwärts. Namentlich nimmt die Arbeitskraft und das Gedächtnis bedauerlich ab, ebenso das Gehvermögen. Ich rechne nur noch auf 3-4 Monate bis zum persönlichen (ewigen!) „Sonnen-Untergang“!

Der Monat Juni, vor dessen Ende wir stehen, war für mich äusserst bewegt und ereignisreich. Am 15. Juni habe ich mein Grundstück (Villa Madusa, [!] seit 35 Jahren bewohnt, mit Garten) an die hiesige „Carl-Zeiss-Stiftung“ verkauft, welche dasselbe der Universität Jena als Geschenk (– und als Erinnerung an meine hiesige akademische Tätigkeit seit 57 Jahren –) übergeben will.

Ich selbst schenke dazu der Universität Jena meinen gesamten wissenschaftlichen und künstlerischen Nachlass – soweit es nicht schon durch meine früheren Stiftungen in deren Besitz übergegangen ist (– 1861 eine zoologische Sammlung, 1883 das zoolg. Institut, 1908 das Phyletische Museum, 1913 das neue „Haeckel-Archiv“ in der Universitäts-Bibliothek“. Alle diese Sammlungen (in denen der wichtigste Teil meiner Lebensarbeit steckt) sollen nun in dem neuen

„Ernst Haeckel-Museum“

in den Räumen der „Villa Medusa“ – vereinigt und dem öffentlichen Besuche, wie der wissenschaftlichen Benutzung, zugänglich gemacht werden. Als ständiger Direktor des Museums wird mein bisheriger Archivar Dr. phil. Heinrich Schmidt angestellt (– und aus meiner Stiftung besoldet, mit M. 3000. – pro Jahr). Ich hoffe, dass diese meine neueste (und letzte!) Gründung sich zu einer segensreichen Zentralstelle entwickeln wird:

1. für allgemeine Entwicklungslehrea,

2. für die grundlegende Stammesgeschichte (speziell für Anthropogenie)

3. für unseren naturalistischen Monismus;

4. für die neue Reformation des Denkens und des Unterrichts, welche nach dem entsetzlichen Weltkriege notwendig kommen muss.

Das neue, soeben erschienene Werk von Dr. Heinrich Schmidt, das ich Ihnen hierbei sende, die „Geschichte der Entwicklungslehre“, ist vortrefflichb ausgeführt, ganz meinen Wünschen und Erwartungen entsprechend. Ich lege demselben noch die letzte (VI.) Auflage meiner „Anthropogenie“ bei. Sollten Sie diese bereits besitzen, so können Sie sie gelegentlich verschenken. –

Sehr gern hätte ich Ihnen für Ihre vortrefflichen Hamburger „Monatsblätter“ einen Artikel über „Wahren und Falschen Monismus“ (– gegen die Pseudomonisten Hartmann, Drews, Schnehenc etc.) geschickt, den ich vor längerer Zeit angefangen hatte. Aber ich finde leider keine Zeit und Kraft mehr zur Arbeit. Die „Kristallseelen“ (1917) werden wohl meine letzten bleiben! –

– Mit herzlichen Grüssen und mit wiederholtem besten Dank! treulichst Ihr alter Invalide

gez. Ernst Haeckel

a korr. aus: Entwicklungslahre; b korr. aus: votrefflich; c handschriftlich korr. aus: Schechen

Brief Metadaten

ID
31796
Gattung
Briefabschrift
Empfänger
Entstehungsort
Entstehungsland aktuell
Deutschland
Entstehungsland zeitgenössisch
Deutsches Reich
Datierung
28.06.1918
Sprache
Deutsch
Umfang Seiten
1
Umfang Blätter
1
Besitzende Institution
Privatbesitz
Zitiervorlage
Haeckel, Ernst an Riess, Carl; Jena; 28.06.1918; https://haeckel-briefwechsel-projekt.uni-jena.de/de/document/b_31796