Jena 8. November 1905.
Liebe und hochverehrte Freundin!
Für Ihre freundlichen und teilnehmenden Zeilen hätte ich Ihnen schon früher gedankt, wenn nicht mein Befinden in den letzten Wochen gar zu miserabel gewesen wäre. Seit 3 Wochen liege ich zu Bett, mit Fieber und Herz-Beschwerden. Die Parforce-Kur in Baden-Baden, die mich von den rheumatischen Leiden des Sommers befreien sollte, ist leider ganz fehlgeschlagen. Ich habe die Vorlesungen dieses Semesters (– meines 90sten in Jena) ganz aufgeben müssen und bin zu absoluter Ruhe gezwungen; ich darf nur lesen, wenig schreiben, gar nicht geistig arbeiten. ||
Glücklicherweise befindet sich meine arme Frau, die so viele Jahre schwer leidend war, jetzt besser als seit langer Zeit; sie pflegt mich treulich, im Verein mit unserem alten Hausarzt, der mich täglich besucht. Seit einigen Tagen geht es langsam besser; die traurige Schlaflosigkeit und Mattigkeit nimmt etwas ab.
Auf die Teilnahme an dem allgemeinen „Deutschen Monistenbund“, für dessen Ausgestaltung Teichmann eine Konferenz nach Leipzig auf den 26. November einberufen hat, muß ich natürlich ganz verzichten, ebenso wie auf alle andere anstrengende Arbeit. Bis Neujahr (vorläufig!) darf ich nicht an Tätigkeit und Ausgehen denken. – Mit herzlichen Grüßen
Ihr alter
Ernst Haeckel.