Marie Eugenie delle Grazie an Ernst Haeckel, Salzburg, 11. August 1894

Salzburg, 11. 8. 1894.

Gärtnergasse 3.

Hochverehrter Herr!

Durch Herrn v. Carneri, meinen theuren Freund, erfahre ich, dass Sie, hochverehrter Herr, an seine Adresse Ihr Bild für mich gesandt. Damit haben Sie mir, ohne es zu wissen, einen Wunsch erfüllt, den an Sie selbst zu stellen, ich nicht so leicht gewagt hätte. Wer selbst geistig arbeitet, kennt die Gefühle, mit welchen solch’ müssige Störungen registrirt werden, und sieht || im Geist das peinliche Lächeln der Gequälten. Da hält man sich denn gerade dort, wo man wirklich verehrt, am liebsten in der Ferne. Ich ließ es mir also bisher an dem, Ihrer „Natürlichen Schöpfungsgeschichte“ beigehefteten Bilde eines Autors genügen, aus dessen Werken ich mir ein Bild construirt, um das ich nicht erst werben musste, das, wie es der Wissenschaft gehört, auch unser Aller Eigen ist! Hätte mir nun Herr von Carneri nicht mehr verraten, als dass Sie mir Ihr Bild gesandt, wär’ es bei diesem Danke geblieben. Er hat mir aber auch geschrieben, dass Sie, hochverehrter Herr, an einem meiner Werke ein mehr als gewöhnliches Interesse || genommen, und mir dadurch den Weg gezeigt, Ihr, mich so ehrendes Geschenk, wenigstens in Etwas erwidern zu können. Ich habe meinen Verleger, Herrn Konegen in Wien, beauftragt, Ihnen meine sämmtlichen bisher erschienenen Dichtungen zugehen zu lassen, und bitte Sie, hochverehrter Herr, dieselben freundlichst entgegennehmen zu wollen. Damit ist nicht gesagt, dass ich Ihnen zumute, Alle zu lesen, die „Gedichte“, das Epos „Hermann“, und „Die Zigeunerin“ reichen in meine früheste Jugend (13-18 Jahr) zurück. Es sind Entwickelungsstadien. Das Drama „Saul“ ist unter diesen meinen Erstlingen gewiss die reifste Arbeit, doch bedeu-||tet auch es nicht mehr jetzt für mich, als eine abgestreifte Puppenhülle. Aufmerksam aber möcht’ ich Sie, nächst dem „Rebell“, auf meine „Italischen Vignetten“ machen, die ich selbst, auch wenn sie nicht allwärts solch enthusiastischen Beifall gefunden hätten, für mein bestes Werk halte. Dass Italien, und nur Italien aus diesen Gedichten klingt, wird Ihnen, hochverehrter Herr, der Sie die Natur nicht bloß mit der Liebe des Forschers in ihren geringsten und erhabensten Details studirt, sondern auch mit dem weiten Blick des Philosophen und echt künstlerischer Empfindungsfähigkeit umfassen, dieselben gewiss nur näher bringen. Im Spätherbst dieses Jahres erscheint ein Werk von mir, an dem ich zehn Jahre gearbeitet habe, und von dem ich selbst die Meinung hege, damit die Höhe meines künstlerischen Schaffens erreicht zu haben. Es ist ein Epos, sein Stoff die französische Revolution. Ich werde mir s. Z. erlauben, auch dieses Werk Ihnen, hochverehrter Herr, zugehen zu lassen – denn was dieser Brief nur erwähnt, wird Ihnen in einem Gesange dieses Werkes die Seele des Dichters [!] verraten – die mächtigen und herrlichen Anregungen, die ich Ihrer „Natürlichen Schöpfungsgeschichte“ verdanke. –

Bis dahin empfiehlt sich Ihnen, hochverehrter Herr

Ihre ergebene M. E. delle Grazie.

[Beilage Visitenkarte mit egh. Widmung von Carl Konegen:]

CARL KONEGEN

WIEN.

den 11/VIII. 94.

beehrt sich mitfolgende Bücher im Auftrage von Fräulein Delle Grazie in Wien zu überreichen.

Brief Metadaten

ID
31642
Gattung
Brief ohne Umschlag
Entstehungsort
Entstehungsland aktuell
Österreich
Datierung
11.08.1894
Sprache
Deutsch
Umfang Seiten
4
Umfang Blätter
2
Format
11,5 x 15,8 cm
Besitzende Institution
EHA Jena
Signatur
EHA Jena, A 31642
Beilagen
Billet m. egh. Widmung v. Carl Konegen
Zitiervorlage
Delle Grazie, Marie Eugenie an Haeckel, Ernst; Salzburg; 11.08.1894; https://haeckel-briefwechsel-projekt.uni-jena.de/de/document/b_31642