Paul Rottenburg an Ernst Haeckel, Glasgow, 16. Februar 1896
Glasgow, 16 Februar 1896.
Liebster Freund!
Hoch sollst Du leben! – hoch sollst Du leben! – Du lebe hoch! – Dir und den Deinen wird heute von Familie Rottenburg ein volles Glas gebracht. Hoffentlich entschädigt Dich Dein neues Lebensa Jahr für die Unbill des letzten. Um auch mein Scherflein dazu beizutragen Dir „auf die Beine zu helfen“ sende ich Dir als Angebinde zu Deinem Wiegenfeste 1 Stückchen englischen Beef’es fix und fertig zum Verzehren und errege den Appetit der Gastrula vorher mit einer Kleinigkeit Caviar. Möge meine Heilmethode sich als probat bewähren. ‒ Schwester Röschen hat hoffentlich die vermaledeite Influenza ganz überwunden; wir haben seiner Zeit mit viel Erfolg Sauternes getrunken. ‒
Besten Dank für Deinen lieben Brief vom 1ten ‒ Glückwunsch und Broschüren. Der Artikel über Challenger hat mich sehr interessirt und führte mir die Tage seiner Zeit bei der Association ‒ Oban ‒ Edinburgh ‒ Cohn ‒ Danaë und der goldene || Regen zurück. – Es waren doch sehr amüsante Tage, an die ich mich noch oft zurück denke. –
Information über Pension gab ich meinem Freunde weiter und hoffe er findet das Gewünschte. –
Uns geht es gut. Wir sind auf zwei Mädchen reduzirt. Louis im vorletzten Semester (7tes) im Charlottenburger Polytechnicum. Harry 1tes Semester Kings College Cambridge Mathematik ‒ Francis seit Neujahr als Lehrling in der Chemischen Fabrik Schering in Berlin um später „Vaterleben“ zu helfen. ‒
Meine brüderliche Liebe hat seinen Abschied genommen und ist Curator der Universität Bonn geworden. ‒
Das Säbelgerassel hat ja fürs Erste aufgehört; aber auf wie lange!? that is the question. Ich fürchte es ist viel Electricität am politischen Himmel und einmal geht das Donnerwetter doch los. ‒ Innere Krebsschäden werden nur zu oft durch neuen äußern Krieg zu heilen gesucht. Oder besorgst Du so etwas für Deutschland || nicht? ‒ Die Welt lebt eben zu schnell. Nerven halten das nicht aus. Moleküle im Cerebrum gerathen in Unordnung. Gesunder Menschenverstand wird alle und rohe Gewalt entscheidet. – Mir wird stellenweise bange vor der Zukunft und dem was unseren Kindern bevorsteht. – Wirf die X Strahlen Deines Verstandes auf das Dilemma und sage mir wie Du die Situation ansiehst. – Eine Parallele in der Geschichte zu suchen ist eitel – denn dem 19ten Jahrhundert stehen doch alle früheren zusammen genommen an Fortschritt auf allen Gebieten weit nach. –
Entschuldige wenn ich dich mit derartigen Problemen langweile. –
Herzlichste Grüße von Haus zu Haus, in Dein Haus Heinrich mit eingeschlossen. –
Immer
Dein
treu ergebener
Paul Rottenburg
Seit 14 Tagen blühen hier Crocus und Schneeglöckchen. Rosen haben zolllange Schößlinge. –
a eingef. Jahr