Conrad Keller an Ernst Haeckel, 17. Januar 1879

Zürich, dℓ. 17. Jan. 1879.

Hochgeehrter Herr Professor!

Seit Sie vor einigen Wochen meine Zeilen erhielten, worin ich Ihnen die mich sehr nahe berührende Angelegenheit schrieb, hat sich die Situation in Zürich geändert.

Eine Reaction, wie sie ja überall verspürt wird, gewinnt auch hier immer mehr Boden, doch ist es hier ausschließlich eine Reaction in wirthschaftlichen Dingen, ein beginnendes Sparsystem, das auf alle Neuschöpfungen lähmend einwirkt.

Die Reformprojekte, der weitere Ausbau unserer Universität, speziell der philosophischen Facultät scheinen wenig Aussichten auf Erfolg zu haben.

Kreise die eingeweiht sind u. ihren Einfluß gerne zu meinen Gunsten geltend machen, haben mich auf das Gefährliche diese Situation aufmerksama gemacht u. mich zu raschem Vorgehen aufgefordert, sonst könnte die Sache kritisch werden.

Nun nachdem ich 4 Jahre gedient, hier Alles erst schaffen mußte u. mit großen Schwierigkeiten ein Laboratorium einrichtete, mich intensiv in meinem Gebiet vertiefen u. arbeiten mußte, finanzielle Opfer brachte u. Erfolge erzielt habe, verspüre ich keine Lust von der Reaction überfahren zu werden!

Ich habe sofort Schritte beim Director des Unterrichtswesen gethan u. ihn um die sofortige Anhandnahme meiner Beförderung gebeten. || Die Stimmung für mich ist nun, ich freue mich Ihnen das sagen zu können, eine über Erwarten günstige.

Ich habe die Majorität der philosophischen Facultät für sicher, ebenso wird in den Behörden die Majorität für sofortige Beförderung sicher zustimmen.

Die bedeutende Zuhörerzahl zwingt das Collegium für mich etwas zu thun u. nun ist eben das Neujahrsblatt vom zürcher Publicum günstig aufgenommen u. beurtheilt worden, selbst von meinen Gegnern. Freilich wurde in dem Organ der zürcher Conservativen u. Frommen ein kleines Lamento erhoben, ich liebäugle zu viel mit Transmutation u. Deszendenz u. tadeln meinen Mangel an Bibelglauben!

Unser Cultus u. Unterrichtsminister ist nun Theologe, aber das hindert ihn nicht, für mich in die Schranken zu treten u. er kommt mir sehr mit Vertrauen entgegen. Er erklärt mir, das Budget dürfe nicht erhöht werden, die Regierung habe strengen Befehl zum Sparen, aber er werde an irgend einem Ort reduziren, um mir eine Stellung zu machen.

Er hat mich gebeten, meine Ansichten über Mißstände in der Universität mit Bezug auf Zoologie einzureichen u. ihm Reformvorschläge zu unterbreiten. Ich habe dies bereits in einem Memorandum von 9 Folioseiten gethan u. die Sache wird nächstens an die Facultät abgehen. || Der Vertreter der Naturwissenschaften in der Behörde hat mir eröffnet, er werde voll u. ganz für meine rasche Beförderung eintreten, aber er müsse mir jetzt schon mittheilen, daß Prof. Frey mit allen Mitteln mir Widerstand zu leisten versuchen werde u. sich als ganz erbitterter Feind zeigen werde! Natürlich, denn vor dem Ertrinken greift man nach jedem Strohhalm.

Sein Einfluß ist gleich Null, wenn er auch Bosheiten machen wird.

Ich lege Ihnen, verehrter Herr Professor die Sachlage dar wie sie ist. Ich bin nicht Optimist aber ich habe neben Gegnern hier viele Freunde u. glaube der richtige Moment sei gekommen. Frey macht möglicherweise viel Mist, er wird dann einfach eventuell die Facultät, die mir übrigens gewogen ist, nöthigenb ihn mit einem auswärtigen Urtheil zu beruhigen.

In diesem Fall wäre ich Ihnen dann allerdings außerordentlich dankbar, wenn im Fall der Noth Sie Etwas für mich thun könnten, indem Ihr Name hier bekannt u. geschätzt genug ist, obschon auch hier erbitterte Gegner von Ihnen vorkommen.

März u. April werde ich in Neapel u. Messina zubringen. Inzwischen meine besten Grüße

Ihr ergebenster

Dr. C. Keller

a korr. aus aufgem; b eingef.: nöthigen

Brief Metadaten

ID
31275
Gattung
Brief ohne Umschlag
Entstehungsort
Entstehungsland aktuell
Schweiz
Entstehungsland zeitgenössisch
Schweiz
Datierung
17.01.1879
Sprache
Deutsch
Umfang Seiten
3
Umfang Blätter
2
Format
13,9 x 21,7 cm
Besitzende Institution
EHA Jena
Signatur
EHA Jena, A 31275
Zitiervorlage
Keller, Conrad an Haeckel, Ernst; Zürich; 17.01.1879; https://haeckel-briefwechsel-projekt.uni-jena.de/de/document/b_31275