Keller, Conrad

Conrad Keller an Ernst Haeckel, Zürich, 4. Februar 1877

Zürich, dℓ. 4. Febr. 1877.

Verehrtester Herr Professor!

Noch immer ist Ihr liebenswürdiger Brief unbeantwortet u. jetzt erfreuen Sie mich durch die gütige Zusendung Ihres neuesten Werkes. Meinen herzlichen Dank für Beides! Aber verzeihen Sie mir, Sie machen nachgerade, daß die Zoologenschaft rein auf dem Kopf stehen muß. Wer hätte nocha vor 2Jahren einen so riesigen Erfolg ihrer Gastraeatheorie erwartet. Sie selbst haben kaum gehofft, daß dieselbe eine so stürmische Fruchtbarkeit im Gefolge haben werde. Oder doch? Ich traue Ihnen zu, daß Sie im Stillen schon lange wieder eine revolutionäre Idee vorbereitet u. bei bester Gelegenheit dieselbe zum Erstaunen der zoologischen Welt ans Licht treten lassen. Geht das noch lange so fort, || so kann man ja kaum mehr zu Athem gelangen. Ihre Physemarien sind eine wenn noch kleine, so doch allerliebste Gruppe. Von den merkwürdigen Gasträaden die Van Beneden untersucht, wurde mir schon von Triest aus geschrieben. Wie ich von dort aus ebenfalls erfahre, steht eine wichtige Arbeit von Franz EilhardSchulze in naher Aussicht, die Sexualität der Spongien betreffend.

Kurz die Sache ist jetzt im Fluße, so daß es eine wahre Freude ist.

In Zürich kann ich im Allgemeinen recht zufrieden sein. Oekonomisch durch die Behörden gedeckt, habe ich eine stattliche Zahl von Zuhörern, deren regelmäßiger u. fleißiger Besuch meiner Collegien ein erfreuliches Zeichen ist. Im Practicum habe ich dieses Semester auch wieder 12Mann. ||

Nach und nach kann ich mich in mein Gebiet vertiefen. Aber es geht nicht so rasch, bis man sich überall ordentlich eingearbeitet hat u. bin ich noch weit entfernt, in dieser Hinsicht mit mir zufrieden zu sein.

Indessen fehlt die Erscheinung nicht u. ist nachgerade chronisch geworden, daß meine Gegnerschaft jedes Semester gegen mich anzurennen versucht, diesen Winter sogar mit aller Wucht, so daß sich auf einmal endlich mausetodt gemacht werden sollte. Zwei Don Quixote, Frey u. Dodel (eine herrliche Gesellschaft) versuchten mich endlich abzuthun u. wir hatten zu Anfang des Winters einen academischen Scandal in optima forma, bei dem es zu sehr unsanften Erörterungen in der Presse gekommen ist. Ich lebe aber noch u. zwar munterer als je u. meine Opposition wird sich nicht ein zweites Mal die Finger verbrennen wollen. || Daß es nicht zu einer Rudolfwagnerei gekommen ist, daran waren nur meine Freunde schuld, die mich für diesmal zurückhalten konnten. Ich habe im Grunde das Glück, daß meine Gegner unaufhörlich Reclame für mich machen.

In wenigen Wochen reise ich nach dem Mittelmeer, wo es wieder Arbeit genug gibt. Von hier kommt Gesellschaft mit. Die beiden Herren Hertwig werden sich fort befinden. Bitte Sie, Herrn Dr.Teuscher zu grüßen, es ist schön dass er einmal seine Echinodermenuntersuchungen veröffentlicht hat. Kommen Sie dieses Jahr nicht wieder einmal in die Schweiz? Wäre doch recht schön. Wir haben fortwährend Frühlingswetter u. Eisenbahnkrache!

Mit freundlichen Grüßen bin ich in alter Ergebenheit

Ihr

C.Keller

a irrtüml.: nor;

 

Letter metadata

Verfasser
Empfänger
Datierung
04.02.1877
Entstehungsort
Entstehungsland
Besitzende Institution
EHA Jena
Signatur
EHA Jena, A 31268
ID
31268