Wilhelm Haacke an Ernst Haeckel, Christchurch, [Mitte August 1881]

Hochverehrter Herr Professor!

Da ich jetzt einigermassen zu überblicken vermag, welche Aussichten mir meine neue Heimath bietet, will ich nicht länger zögern, Ihnen über das, was ich bis jetzt hier gesehen, gehört und erlebt habe, kurzen Bericht zu erstatten. Der bisherige Gang der Dinge war ein in hohem Grade befriedigender, was ich ausschliesslich Ihren Empfehlungen zu dankena habe. Sie dürfen versichert sein, dass ich auch im Lande der Antipoden nie vergessen werde, dass ich Ihnen verdanke, was den Werth des Lebens ausmacht; und ebenso werde ich stets bestrebt sein, diesen Dank nach besten Kräften zu bethätigen, selbst wenn sich herausstellen sollte, dass Neuseeland, wohin ich auf Ihren Rath gegangen bin, kein geeignetes Feld war. Nach allen bis jetzt gemachten Erfahrungen glaube ich aber, dass sich || Ihre Prophezeiung, wonach mir in Neuseeland eine glückliche Zukunft bevorsteht, erfüllen wird.

Ich bin jetzt etwa 10–11 Wochen hier, wovon ich die ersten sieben Wochen in Dunedinb und die letzten 3 – 4 Wochen in Christchurch, wo ich vor der Hand bleiben werde, zugebracht habe. In diesen 10 Wochen habe ich den Kampf ums Dasein weniger hart empfunden, als das jemals zu Hause seit Jahren der Fall gewesen ist, und in kritische Schicksalswendungen dürfte ich, falls ich gesund bleibe, wohl schwerlich hier kommen. Übrigens habe ich bei meiner dreimonatlichen Seereise herausgefunden, dass ich ein gut Theil Strapazen ertragen kann, ohne jede nennenswerthe körperliche oder psychische Reaction.

Da die neuseeländische Regierung der schlechten Zeiten wegen die freie Einwanderung hat aufhören lassen, musste ich die Überfahrt bezahlen, hatte aber nicht mehr Geld, als gerade zur Bestreitung der Kosten einer Zwischendecksfahrt || nöthig war. Meine Reisegefährten gehörten grösstentheils den niedrigsten Ständen an; ich bin mit ihnen aber vortrefflich ausgekommen. Auch an die äusserst schlechte Verpflegung habe ich mich mit Leichtigkeit gewöhnt; ebenso habe ich die Hitze der Tropen und das stürmische und nasskalte Wetter im südlichen indischen Ocean ohne Beschwerde ertragen. Auf einen Dampfer hätte ich in London – Dr. Günther konnte mich nicht beschäftigen – zu lange warten müssen, weshalb ich mit dem ersten Segelschiff abfuhr. Leider habe ich Europa in einer solchen Eile verlassen, dass ichc nicht daran denken konnte, Schwebnetze und Alcohol mitzunehmen. Infolgedessen hat denn die Reise keine zoologische Ausbeute geliefert. Nicht einmal zu sehen habe ich viel bekommen, z. B. keine einzige Meduse. Ein paar Phocaenen und Haifische, einige fliegende Fische und Physalien, viele Albatrosse, das war fast alles. || Von dem Meeresleuchten habe ich nach den Schilderungen, die ich gelesen, mehr erwartet, und auch das sturmbewegte Meer habe ich mir grossartiger vorgestellt. Trotz alle dem habe ich eigentlich nie Langeweile gehabt, und die meisten meiner Bücher habe ich während der Reise unangerührt gelassen, obgleich meine Bibliothek sehr klein ist.

Als ich in Port Chalmers bei Dunedind das Schiff verliess hatte ich überhaupt kein Geld mehr und war deshalb auf das schlimmste gefasst; es ging aber alles vortrefflich. Da man mich in Dunedin nicht unterbringen konnte, schrieb ich an Prof. Julius von Haast in Christchurch, der deutscher Consul ist und mir umgehend etwas Geld schickte. Dann habe ich für das Museum in e Dunedin eine Reihe von botanischen Wandtafeln gemalt, womit ich wenigstens meinen Lebensunterhalt verdiente, und inzwischen hatte Haast so viel Geld flüssig gemacht, um mich als provisorischen Assistenten bis zum Ende des Jahres zu beschäftigen. Meine Bezahlung ist zwar nach hiesigen Verhältnissen keineswegs glän-||zend – ich bekomme etwa 42 Mark wöchentlich – ; indessen reicht die Summe vollständig aus, um recht gut davon leben zu können, da namentlich die Nahrungsmittel, Fleisch, Brot etc. hier beispiellos billig sind und das übrige nicht viel mehr kostet, als zu Hause auch. Ich bezahle für meine Wohnung, die aus zwei möblierten Zimmern besteht, und in welcher ich auch alles Essen, das vortrefflich ist, geliefert bekomme, wöchentlich 21 Mark, also nur die Hälfte meines Einkommens, weshalb ich mich plötzlich in der mir seither ganz unbekannten Lage befinde, mit meinem Geldbeutel in Harmonie zu leben. Mit Beginn nächsten Jahres wird meine Stelle am Museum in Christchurch eine feste und besser bezahlte; ich habe deshalb beschlossen, sie vorläufig zu behalten und mich nicht für eine Lehrerstelle zu melden, wenn es nicht eine besonders gute ist. Das, was ich haben will, ist natürlich eine Professur an einer der neuseeländischen Universitäten, deren esf bis jetzt || zwei, eine in Dunedin und eine in Christchurch giebt. Die Gründung einer dritten Universität in Auckland oder Wellington, wahrscheinlich in Auckland, ist aber nur eine Frage der Zeit und dürfte vielleicht schon sehr bald erfolgen, und dann bin ich der einzige in Neuseeland lebende Candidat für den Lehrstuhl für Biologie (Zoologie und Botanik, die an den bisherigen Universitäten noch nicht gesondert vertreten sind). Als die Professur für Biologie in Dunedin besetzt werden sollte, hatte man allerdings eine Commission in England, die aus Huxley, Carpenter und Wyville Thomson bestand, mit der Wahl eines geeigneten jungen Biologen beauftragt, indessen war damals in Neuseeland kein solcher aufzutreiben, und es steht zu erwarten, dass bei der nächsten Gelegenheit die Leute es vorziehen werden, die nicht unbeträchtlichen Kosten des „Verschreibens“ einer Biologie-Professur zu sparen. Ich bilde mir ein, dass man in mir eigentlich keine ganz schlechte Wahl treffen würde, und hoffe, das den Leuten klar zu machen, || denn es ist hier durchaus nicht angebracht, sein Licht unter den Scheffel zu stellen. Indessen sind die Ansichten über meine Aussichten getheilt; mein deutscher Freund, Haast und Professor Ulrich (ein hannoverscher Landsmann in Dunedin), haben gute Zuversicht, desgleichen auch viele Engländer. Professor Parker in Dunedin, ein Sohn des Foraminiferen-Parker und früherer Assistent von Huxley, welcher in Dunedin Biologie lehrt, und an welchen mich Huxley empfohlen hatte, meint aber, ich würde wohl wieder auswandern müssen, obgleich er der einzige wissenschaftliche Zoologe ausser mir hier ist; einen wissenschaftlich gebildeten Botaniker giebt es in Neuseeland überhaupt nicht. Ich fürchte indessen, dass Parker sich etwas vor meiner wissenschaftlichen Concurrenz fürchtet, denn die Rivalität ist in Neuseeland vielleicht grösser, als irgendwo sonst. Nordinsel und Südinsel, dort Auckland und Wellington, hier Dunedin und Christchurch hassen und beneiden sich gegenseitig. Diesem Umstande habe ich es mitg zu verdanken, || dass Haast gleich alles aufbot, mich an sein Museum zu bekommen um damit einen Trumpf gegen das Dunedinerh Museum, dem Parker vorsteht, auszuspielen, was denn auch in Dunedin, wo die Leute nicht so viel Geld haben, grossen Neid und Ärger verursachte. Übrigens thue ich aber meinem väterlichen Freunde Haast Unrecht, wenn ich sagen wollte, dass er sich blos deshalb meiner angenommen hat, denn ich weiss, dass er sich jedes neu ankommenden Landsmannes in wärmster und aufopferungsvollster Weise annimmt. Er ist ein prächtiger Mann, an welchem ich einen wahren Freund gefunden habe. Er ist seit mehr als zwanzig Jahren hier, geniesst das grösste Ansehen und hat um die Erforschung Neuseelands die grössten Verdienste. Er scheint ein tüchtiger Geologe zu sein – er ist Professor der Geologie – und hat auch viele zoologische und botanische Kenntnisse, dabei hat er eine vorzügliche allgemeine Bildung, er ist ein grosser Kunst und Musikfreund und hat die ausgedehntesten Verbindungen. || Studirt hat er, so viel ich weiss, nicht; den Doctor hat er honoris causa von Tübingen und den Ritter vom Kaiser von Österreich, ausserdem ist er Fellow of the Royal Society. Glücklicherweise bildet er sich auf diese Ehrenbezeugungen jedoch nicht das mindeste ein, und, was mir nicht zum mindesten an ihm gefällt: Er ist nicht so weit anglikanisirt, dass er den Geschmack an einem Witze, der auch wohl etwas derb ausfallen darf, verloren hätte. Obgleich er hier eine glänzende, wenn auch ehrlich verdiente, Carriere gemacht hat, schilt er doch gern auf die Engländer; fast das erste, was er zu mir sagte, war eine Warnung, den Engländern ja nicht zu sehr zu trauen, da sie egoistisch im höchsten Grade wären. Ich bin um so mehr geneigt, dem Rathe Haast’s zu folgen, als er mit einer Engländerin verheirathet ist, für die er die grösste Verehrung hat, und welche in der That eine Frau von seltener Begabung und, obwohl in Neuseeland erzogen, ausgezeichneter Bildung ist, die auch fertig Deutsch spricht. Ich bin ein häufiger Gast in Haast’s Familie.

Der Professor der Biologie hier in Christchurch ist nur oberflächlich wissenschaftlich || gebildet. Er war früher Capitain in, wenn ich nicht irre, in einem indischen Regiment, hat sich dort mit allen Cameraden überworfen und treibt jetzt Naturforschung. Zuerst war er Geologe, dann ist er Biologe geworden, der sich bald mit Zoologie bald mit Botanik beschäftigt. Ich habe noch keine Gelegenheit gehabt, ihn kennen zu lernen, da Haast und er seit längerer Zeit verfeindet sind. Ich höre jedoch, dass Professor Hutton, so heisst er, sich sehr lebhaft für mich interessirt; es sind jedoch Anzeichen vorhanden, dass dieses Interesse ein nicht blos wissenschaftliches ist. Glücklicherweise empfängt er Neuangekommene hier zunächst die Aufwartung der bereits Einheimischen, und deshalb ist es Hutton’s Sache, mich aufzusuchen. Er bekommt eine bestimmte Summe um für den zoologischen Theil des Museums zu sorgen, seitdem er aber mit Haast, der Director des Museums ist, entzweit ist, bekümmert er sich nicht mehr um dasselbe, weshalb Haast jetzt das Geld haben will, um es mir zu geben. Meine Lage ist deshalb eine etwas schwierige, da ich es gern vermeiden möchte, mir Feinde zu machen.||

Das Museum, Haast’s Schöpfung, ist so gross, dass ein Assistent vollauf zu thun hat; es ist für Haast ganz unmöglich, alles zu bewältigen. Natürlich ist es ein Universalmuseum, das aber in einzelnen Theilen recht bedeutend ist. Die Dinornis-Sammlung ist die beste existirende; vorzüglich ist auch die Maori-Sammlung und überhaupt alles, was Neuseeland betrifft, soweit es beschrieben ist. Die zoologische Sammlung zeigt allerdings mehrere Lücken; es ist aber auch nicht zu verlangen, dass sie überall gleichmässige Vollständigkeit aufzeigen soll.

Es ist gewiss sehr schwer, hier zu Lande ein Museum zu Stande zu bringen, welches in allen seinen Theilen wissenschaftlichen Werth besitzt, da die Museen hier öffentliche Anstalten sind, welche sich eines regen Besuchs seitens der Bevölkerung erfreuen, auf welche Bevölkerung dann der Director Rücksicht nehmen muss. Haast bekommt jährlich 500 Pfund zur Erweiterung des Museums, und die Leute wollen für ihr Geld was sehen, was mit dem kleinen Gethier natürlich nicht zu erreichen ist. Trotzdem dürfte || die hiesige zoologische Sammlung sich bedeutend über das Durchschnittsmaassi der deutschen zoologischen Museen erheben. Es fehlt auch nicht an Raritäten; einen Wisent (aus Lithauen) soll kein europäisches Museum besitzen; Haast hat ihn vom Kaiser von Österreich bekommen. Vorzüglich ist unsere Sammlung anthropoider Affen; wir besitzen u. a.j nicht nur einen schönen ausgestopften Gorilla, sondern auch ein Gorilla-Scelett. Die Sammlung von Sceletten ist überhaupt gut. – Wenn man alle Umstände erwägt, so ist unser Museum eine grossartige Leistung zu nennen, und Haast verdiene das höchste Lob.

Meine Arbeit im Museum ist natürlich nicht immer sehr interessant; indessen habe ich in Kiel eine gute Schule durchgemacht. Meine Aufgabe ist zunächst, einen Catalog, der später publicirt werden soll, anzufertigen. Diese Arbeit hat wenigstens das gute, dass ich das Museum gründlich kennen lerne, namentlich, was die neuseeländischen Sachen anbetrifft; ausserdem erweitert dieselbe meine systematischen Kenntnisse beträchtlich, was ebenfalls von grossem Nutzen für mich ist, da man hier über alles möglichst muss reden können. Doch fürchte ich nicht, dass meine philosophischen Liebhabereien darunter || leiden werden; denn ich beabsichtige, über kurz oder lang über verschiedene allgemeine Fragen, über welche ich während meiner Reise viel nachgedacht habe, mich vernehmen zu lassen. Ich habe eine Theorie der Erblichkeit ausgesonnen, welche mir viel einfacher und einleuchtender erscheint als die Pangenesis und – leider auch – die Perigenesis. Ausserdem habe ich ein Eintheilungsprincip der Wissenschaften gefunden, das nicht nur einfach und bequem, sondern auch streng logisch ist. Ich will die Sache jedoch nicht überstürzen und lieber erst sehen, ob sie mir später noch so plausibel erscheint, als jetzt. Ich habe auch jetzt kaum Zeit, an allgemeine Fragen zu denken, da es durchaus für meinen Erfolg in Neuseeland nöthig ist, eine systematische Arbeit über die Fauna Neuseelands zu machen. Noch nicht bearbeitet sind die Spongien, und ich will zunächst die Hornschwämme in Angriff nehmen, von denen reichliches Material bei uns vorhanden ist. Die erforderliche Literatur will Haast auf Kosten des Museums kommen lassen, und es wäre mir sehr erwünscht, wenn Sie mich auf das wünschenswerthe Büchermaterial aufmerksam machen wollten. Ich bemerke, || dass die Arbeit rein systematisch werden soll, da mir nur die Scelette der Hornschwämme zur Verfügung stehen und ich nicht weiss, ob ich frisches Material rechtzeitig und in genügender Menge bekommen werde. Das Dredgen ist hier nicht so leicht zu bewerkstelligen, wie in Kiel; es kostet viel Geld und Zeit und ist nicht ungefährlich. Wir werden aber demnächst eine Expedition mit dem Schleppnetz machen. Ich wollte, ich könnte Medusen für Sie sammeln; dieselben sind hier aber leider selten; auf der Nordinsel, namentlich in Auckland, soll es in dieser Hinsicht besser sein; doch will ich sehn, was sich machen lässt.

Neuseeland macht durchaus keinen fremdartigen Eindruck, es sei denn, dass man sich in die Wälder begiebt, wie ich das bei Dunedin gethan habe. Fast alle Holzgewächse fallen durch ihre winzigen Blätter auf, und die zahlreichen Farne neben den niedrigen Wäldern [haben] allerdings ein sehr charakteristisches Gepräge. Die Städte machen indessen einen durchaus europäischen Eindruck, nur das [!] sie weiter sind, als die gleichgrossen Städte daheim. Die beiden grössten, Dunedin und Christchurch, mit je etwa 30000 Einwohnern haben zum Beispiel Dampftramways in den verschiedensten Richtun-||gen und machen einen grossstädtischen Eindruck; die, meistens aus Holz gebauten, Häuser ausserhalb der Geschäftsgegenden haben jedoch alle einen Garten, so dass die Städte ein gewaltiges Areal einnehmen. Dunedin ist prachtvoll gelegen, zwischen hohen bewaldeten Bergen, in der Mitte einen meilenweit ins Land hineingehenden Hafen, an dem einen Ende den offenen Ocean berührend. Christchurch ist weniger schön; es liegt in einer vollständigen und sehr grossen Ebene. Im Osten der Stadt sind indessen ziemlich hohe Berge, die die Stadt vom Hafen trennen. Der Hafenort, Lyttelton, liegt in einem gewaltigen ausgebrannten Krater. Im Westen sieht man die etwa 10 deutsche Meilen entfernten schneebedeckten Southern Alps aus der Ebene hervorragen.

Das Wetter ist beispiellos veränderlich; es giebt viel Wind, häufig auch Regen; nicht selten auch weht ein heisser und trockener „Northwestern“, der alle Feuchtigkeit an k der langen Gebirgskette abgesetzt hat und ganz dasselbe ist, wie der Fön. Die Tage sind, wenn der Himmel wolkenlos ist, selbst jetzt im Winter heiss; die Nächte sind kalt, auch im Sommer. Im allgemeinen habe ich mir das Klima zu paradiesisch vorgestellt, indessen ist es gesund. – Die Menschen sind anständig und freundlich, habe aber all die albernen Anschauungen von daheim mitgebracht, namentlich, was die Religion anbetrifft.

Indessen hat gerade in dieser Beziehung Neuseeland einen grossen Vorzug vor Europa: Religionsunterricht in den Staatsschulen ist streng verboten. Die Schulen sind überhaupt vorzüglich, da man von Anfang an den Ertrag grosser Länderstrecken für Erziehungszwecke reserviert hat. Selbst in den höheren Mädchenschulen wird lateinischer, französischer und deutscher, mathematischer und naturwissenschaftlicher Unterricht ertheilt, und an den Universitäten studiren eine grosse Anzahl junger Damen. Neuseeland hat die Ehre, den ersten weiblichen Master of Arts, und den ersten ebensolchen Bachelor of Arts, deren Promotion ich neulich mit angesehen habe, zu besitzen. Die jungen Damen studiren mit Vorliebe Mathematik, Physik und Geologie; die meisten bleiben dabei vernünftig, einige sind jedoch nicht nach meinem Geschmack. Ich habe neulich in einer Gesellschaft die meisten hiesigen Studentinnen kennen gelernt; nun geniesse ich, als früherer Assistent Haeckel’s, eine gewisse Celebrität, weshalb einige Studentinnen sich „very much disappointed“ zu fühlen schienen, als sie in mir zunächst nur die Bekanntschaft eines flotten Tänzers machten, der ihre Mitwirkung in Anspruch nahm. Eine fragte mich, ob ich es nicht „very hard“ fände, „to keep up dancing“ als ein so gelehrtes Haus; ihr wurde es offenbar sehr schwer, denn sie tanzte entsetzlich.||

In der letzten Zeit ist in Neuseeland viel von „Evolution“ die Rede gewesen; leider habe ich zu constatiren, dass Darwinismus und besonders Haeckelismus hier in hohem Grade perhorrescirt werden. Professor Parker in Dunedin, der in seiner Inaugural-Rede den Darwinismus auf sein Programm gesetzt hat, hat dadurch eine ganze Fluth von anti-evolution-Literatur in der Tagespresse hervorgerufen. Ich lasse mich jedoch nicht irre machen und habe in Dunedin, im „Otago philosophical Institute“, schon einen populären Vortrag über die Discomedusen-Entwicklung (Aurelia, Pelagia etc.) gehalten. Ein anwesender Geistlicher, der viel gegen „Evolution“ schreibt, wollte im Generationswechsel allerdings einen starken Beweis für „design“ erblicken, wurde aber von einem meiner Freunde abgefertigt; ich selbst konnte das leider nicht thun, da ich noch zu schlecht englisch spreche. Am andern Tage erschien in der Zeitung ein langes Referat über meinen Vortrag, der mir indessen auch viele neue Freunde zugeführt hat, denn die Gebildeten sind ziemlich tolerant. Jedenfalls darf man hier frei auftreten, ohne seine Stellung zu gefährden. Aufgefallen ist mir, dass unter Ihren sämtlichen Lehren die Lehre von der Urzeugung am meisten verhasst ist; eine Entwickelungsreihe, an deren Anfang der Schöpfer aufgepflanzt ist, lässt man sich hier schon gefallen, aber jede Elimination desselben choquirt die Engländer sehr.

Ich habe hier kürzlich die Entdeckung gemacht, dass ich durchaus verkehrt in Bezug auf meine Militärpflicht gehandelt habe; ich bin heimlich gegangen und werde jetzt wahrscheinlich in den deutschen Zeitungen officiell zur Verantwortung vor Gericht aufgefordert werden. Man hatte mir aber die Entlassung aus dem Staatsverbande nicht versagen können, da ich über 25 Jahr alt war; denn das Gesetz verbietet nur, Militärpflichtigen im Alter von 17 bis 25 Jahren die Erlaubnis zur Auswanderung zu ertheilen. Ich will jetzt noch versuchen, die Entlassung zu bekommen, da mir sonst eine Erbschaft mit Beschlag belegt wird. Im übrigen schadet die Sache weiter nichts; ich habe sie Haast, der deutscher Consul ist, gleich erzählt. Wenn ich zehn Jahr warte, darf ich auch ungestraft nach Deutschland zurückkehren, was ich später doch gern einmal, wenigstens zum Besuch, wieder möchte.

Ich hoffe, dass ich meinen alten Vater und meinen jüngeren Bruder demnächst bei mir sehen werde; ich hab sie nämlich dringend aufgefordert, mir nachzufolgen. Mein Vater lebt von den Zinsen seiner Gelder; hier zahlt man die doppelten Prozente und das Leben ist nicht viel theurer als zu Haus. ||

Mein Freund Matzdorff, der früher in Jena und letzten Winter in Kiel war, theilt mir mit – ich weiss nicht, woher er die Nachricht hat – dass Sie an einer zweiten Auflage der „Generellen Morphologie“ arbeiten; ich bin äusserst gespannt auf dieselbe, da die erste Auflage mein Lieblingsbuch ist, das ich auf der Reise wieder von Anfang bis zu Ende gelesen habe. Ich bin nämlich so glücklich, ein Exemplar desselben zu besitzen, und glaubte zuerst, dass dasselbe wohl das einzige in Neuseeland existirende sein würde. Indessen besitzt sowohl die Dunediner Universitätsbibliothek als Prof. v. Haast zwei weitere Exemplare, und vielleicht ist damit die Anzahl derselben in Neuseeland noch nicht erschöpft. Ich glaube, es würde gut sein, die neue Auflage ins Englische zu übersetzen; ich bin verschiedentlich danach gefragt worden, ob sie das nicht thun lassen würden, da die meisten Engländer nur schlecht deutsch lesen, was ich von meinem jetzigen Standpunkte aus natürlich nicht beklage. Die „Natürliche Schöpfungsgeschichte“ ist hier überall bekannt, hat aber zuerst gewaltige Aufregung verursacht. Grosses Lob habe ich indessen Ihrer Entgegnung auf Virchow’s Rede spenden können.

Ich habe hier kürzlich ein Buch gelesen, betitelt „Old New Zealand; a tale oft the || good old times. By a Pakeha Maori!“ Es ist von einem gebildeten Engländer [Frederick Edward Maning], der eine lange Reihe von Jahren vor der Colonisation von Neuseeland zwischen den Maori gelebt hat, verfasst und äusserst lebendig und gewandt geschrieben; es behandelt namentlich die alten, jetzt schon fast vollständig verschwundenen, Sitten und Gebräuche der Maoris. Ich möchte es gern ins Deutsche übersetzen, da ich überzeugt bin, dass es viele dankbare Leser finden wird, auch Haast, der selber schon einmal daran gedacht hat – er machte mich auf das Buch aufmerksam – ist derselben Ansicht, meint aber, dass es schon übersetzt ist. Ich bezweifle das indessen und hätte gern nähere Auskunft darüber, weiss aber nicht, wohin ich mich deshalb wenden soll. Das Buch ist schon 1863 in Auckland erschienen und dürfte nur eine geringe Verbreitung haben. Es berichtet nur über wirklich Erlebtes und hat vielleicht selbst einiges wissenschaftliche Interesse.

Haast, welcher ein grosser Verehrer von Ihnen ist, lässt sich Ihnen bestens empfehlen; er möchte Ihnen gern etwas von hier schicken, wir wissen nur nicht was. Neulich hat Haast an Hooker geschrieben, weshalb Sie noch nicht in die Royal Society gewählt wären, und ihm gesagt, er solle ja || dafür sorgen, dass dieses Versäumnis schleunigst nachgeholt würde; für mich will Haast die Wahl in die Linnean Society beantragen.

In die jungen deutschen Zoologen scheint plötzlich die Auswanderungslust gefahren zu sein; ich habe schon von mehreren gehört, die gleichfalls nach Neuseeland kommen wollen. Einem derselben hat Haast jedoch geschrieben, er solle nur kommen wenn er Geld hätte. Ich freue mich, dass ich hier bin; denn für viele Professoren ist in Neu Seeland kein Platz, doch darf man Leuten aller Art, die sich damit begnügen, mit einer Stelle an Schulen vorlieb zu nehmen, unbedingt rathen, nach hier zu kommen; ebenso jungen Ärzten, die allerdings das Staatsexamen gemacht haben müssen.

Noch lieber als nach Neuseeland wäre ich nach den Fitschi-Inseln gegangen, wo aber vorläufig noch wenig zu machen ist; auch in Tasmanien soll es sehr schön sein. Angenehm ist es, dass man von hier aus leicht nach all diesen Plätzen kommen kann. Beinahe hätte ich mich im Anfang für eine Neu Guinea-Expedition engagiren lassen, doch ist aus der Geschichte nichts geworden. Unser Landsmann, Dr. Otto Finsch aus Bremen, der den stillen Ocean bereist hat und kürzlich längere Zeit in Neu-Seeland war, theilte Haast gestern von Australien aus mit, dass er sehr betrübende Nach-||richten von zu Haus bekommen hätte. Er hat eine junge hübsche Frau, die er mit auf die Reise nehmen wollte, aber wieder von Neu Seeland aus nach Hause schicken musste, weil sie schwanger war. Jetzt hat sich herausgestellt, dass die Schwangerschaft simuliert war; sie ist mit einem deutschen Schiff nach Brüssel gefahren, hat dort längere Zeit mit Andern (♂︎♂︎, nicht ♀︎♀︎) in Saus und Braus gelebt und schliesslich ein Kind gestohlen, mit dem sie nach Bremen gereist ist, um es als das ihrige auszugeben; wären in Bremen nicht Finsch’s Freunde dazwischen gekommen, so würde sie seine ganze Habe verthan haben. Finsch lässt sich natürlich scheiden. Noch schlimmer ist es Godeffroy’s Reisendem, Herrn Kleinschmidt, von dem Buchner so viel erzählt, gegangen; er ist in Neu England von den Eingeborenen ermordet worden; vielleicht haben Sie schon davon gelesen.

Das Blechgefäss aus Kiel haben Sie hoffentlich rechtzeitig erhalten und brauchbar gefunden; bei meiner Abreise von England hatte ich einen Brief für Sie auf dem Schiffe geschrieben, verpasste aber den Abgang der Lotsen; der Brief enthielt Mitteilungen über das Blechgefäss, das aber hoffentlich nicht in Kiel stecken geblieben ist.

Es ist wohl wenig Aussicht vorhanden, dass an Ihrem Institut mal ein Präparator angestellt wird; sonst kann ich Ihnen nicht dringend genug unseren Herrn Zietz in Kiel empfehlen, der gerne von dort fort möchte. Wenn ich das Glück haben sollte, hier in nicht allzu ferner Zeit ein Museum zu bekommen, werde ich ihn zu mir kommen lassen; er versteht sich aufs Reisen, da er längere Zeit in Brasilien gewesen ist. Da fällt mir eben ein, haben Sie Breitenbach’s Adresse? Ich hätte sie gerne.

Ich werde versuchen, mit der deutschen Wissenschaft in innigem Zusammenhange zu bleiben, was freilich einige Schwierigkeiten hat. Sie haben vielleicht von Zeit zu Zeit die Güte, mich auf Bücher, die nützlich und angenehm zu lesen sind, aufmerksam zu machen. Die Bücher, die ich nichts selbst bezahlen kann, will Haast auf Rechnung des Museums kommen lassen. Haast ist so zuvorkommend, dass ich mich manchmal etwas dagegen wehren muss.

Ich hoffe, dass es Ihnen und den Ihrigen wohl geht; wenn das Schicksal es will, sehe ich Sie noch einmal wieder. Grüssen Sie bestens Ihre Frau Gemahlin, Hertwigs, meine jungen Freunde, wenn noch welche in Jena sein sollten, und unsern lieben Pohle; ebenso Herrn Giltsch. Was macht das neue Institut, und was macht die Botanik || jetzt in Jena? Hoffentlich ist alles befriedigend!

Mit den herzlichsten Grüssen!

Ihr

W. Haacke.

Adresse:

Dr. Haacke | Museum | Christchurch | New-Zealand.

a korr. aus: Danken; b korr. aus: Duedin; c korr. aus: dich; d korr. aus: Duedin; e gestr.: Christ; f gestr.: in; eingef.: es; g eingef.: mit; h korr. aus: Duediner; i korr. aus: Durchschnittsmaasse; j eingef.: u.a.; k gestr.: deer

Brief Metadaten

ID
30591
Gattung
Brief ohne Umschlag
Entstehungsort
Entstehungsland aktuell
Neuseeland
Entstehungsland zeitgenössisch
Großbritannien
Datierung
1881.08.??
Sprache
Deutsch
Umfang Seiten
24
Umfang Blätter
12
Format
14,2 x 21,9 cm
Besitzende Institution
EHA Jena
Signatur
EHA Jena, A 30591
Zitiervorlage
Haacke, Wilhelm an Haeckel, Ernst; Christchurch; 1881.08.??; https://haeckel-briefwechsel-projekt.uni-jena.de/de/document/b_30591