Wilhelm Haacke an Ernst Haeckel, Kiel, 15. Dezember 1880
Kiel, d. 15. Dec. 1880.
Hochverehrter Herr Professor!
Mit der Bitte um Entschuldigung meines langen Schweigens sage ich Ihnen meinen herzlichsten Dank für Ihren Brief und die in demselben gegebenen Rathschläge. Ich würde schon früher geschrieben haben, wenn ich nicht auf die Erledigung meiner Militärangelegenheit, die freilich nicht nach Wunsch ausgefallen ist, gewartet hätte.
Die Scyphostomen sind ja, wie Sie schreiben, glücklich in Jena angekommen. Es sind ja auch schon einige Strobilen und Ephyren darunter; ich fürchte aber, dass die übrigen Scyphostomen es nicht zur Strobilation bringen werden. Nach meinen Beobachtungen hier bleiben die Scyphostomen im Aquarium, auch wenn sie sich, was gewöhnlich der Fall ist, sehr lange halten, immer nur Scyphostomen, und werden dabei viel zierlicher und zarter, zur mikroskopischen Untersuchung dann aber auch geeigneter. Es wird || sich vielleicht empfehlen, Ihnen noch eine Sendung lebender Sachen zu machen, aber erst nach einiger Zeit, wenn die meisten Individuen zur Strobila geworden sind. Eine befriedigende Conservation der Scyphostomen, d. h. eine solche, welche sie ausgestreckt bleiben lässt, ist mir trotz mannigfacher Versuche bis jetzt leider nur höchst unvollkommen geglückt, weshalb ich es unterlassen habe, Ihnen conservirtes Material zu senden. Kleinere Quantitäten lassen sich wohl zusammenbringen, aber keine grösseren; wenn es jedoch nicht darauf ankommt, dass die Scyphostomen ausgestreckt bleiben, und wenn Sie es nicht vorziehen, sich selbst lebend übersandtes Material zu conserviren, so ist nichts leichter – wenigstens so lange unser Hafen nicht zugefroren ist – als eine Beschaffung vielen conservirten Materials; Sie haben vielleicht schon erprobt, welche Behandlungsweise sich am besten eignet, und sind dann wohl so freundlich, mir dieselbe anzugeben.
Das Blechgefäss gehört Bootführer C. Knuth, Damenstr. (Eck Haus der Fischerstr.)a Kiel, an welchen Sie wohl die Güte haben, es zurückzusenden. || Medusen mit unvollkommener Vermehrung oder Verminderung der Parameren sind, namentlich bei Cyanen, sehr häufig; sollten Sie besonderes Interesse haben, so kann ich wohl noch einige auftreiben. Meine Zeit ist jetzt so in Anspruch genommen, dass ich nur den Sonntag Nachmittag vollkommen für mich habe; Exkursionen auf den Hafen kann ich deshalb jetzt, wo es so früh dunkel wird, nur ausnahmsweise selbst machen; doch besorgt mir der oben genannte Bootführer, der unsere Fauna gut kennt, die meisten Sachen, welche ich haben will. – Die Ablösung von Ephyren hat in diesem Jahre ausnahmsweise früh begonnen; wenigstens sagt das unser Präparator. Im Allgemeinen ist diese Entwickelung unserer beiden Acraspeden an die Jahreszeit geknüpft; sie scheint aber doch innerhalb sehr weiter Grenzen zu liegen, Ephyren z. B. werden wohl das ganze Jahr hindurch hier und da anzutreffen sein. Ich habe von Anfang an viel auf unsere Medusen geachtet und manches gefunden, was weder Professor Möbius noch Präparator Zietz kannten, z. B. die jungen Cyaneen und die Aurelien mit 3, 5, 6 Parameren.
Meine Neu-Seeland-Reise kann ich leider erst im Mai 1882 antreten, da ich || nun doch am 1. April Soldat werden muss. Das Kriegsministerium, an welches ich mich gewandt hatte, hatte meine ausserterminliche zweite Untersuchung gestattet; der mich untersuchende Arzt hat mich aber, obgleich es früher „dauernd unbrauchbar“ hiess, für brauchbar erklärt, und da denke ich denn: „Je, denn helpt dat nich.“ Ich kenne jetzt Nord- und Mitteldeutschland zur Genüge, und denke deshalb in Süddeutschland, wahrscheinlich in München, zu dienen. Ich kann dort vielleicht meine auf Ihren Rath hin begonnenen theoretischen und praktischen pathologischen und therapeutischen Studien fortsetzen, hoffe auch bei Zittel noch etwas Palaeontologie treiben zu können, die sich ja in Neu-Seeland gut verwenden lassen wird.
Da ich erst Gewissheit über meine Dienstpflicht haben wollte, so habe ich bis heute, wo mir dieselbe geworden ist, noch nicht nach Neu-Seeland geschrieben. Ich werde dasselbe aber baldigst besorgen; ich hab jetzt ja Zeit, auf die Antwort zu warten. Professor von Hochstetter, an welchen ich mich wandte, hat mir gerathen an folgende Herren, die seine Freunde sind, zu schreiben: An Dr. Julius Ritter von Haast, Director des Canterbury-Museums in || Christchurch, an Dr. James Hector in Wellington, Director der Geological Survey u. des Wellington Museums, und an Edward Ramsay in Sydney, Curator des Sydney Museums. Ich denke, es kann auch nichts schaden, an die b Vorstände der beiden übrigen neuseeländischen Museen zu schreiben; ich darf dabei wohl bemerken, dass ich Ihre Empfehlung besitze. Natürlich werde ich auch an das deutsche Consulat in Neu-Seeland schreiben. Vielleicht trifft es sich, dass das eine oder andere Museum einen jungen Zoologen gebrauchen kann.
Von Schriften über Neu-Seeland habe ich nur das jetzt doch schon ziemlich alte Hochstettersche Werk bekommen können; durch gelegentliche Übersendung des Buchner’schen – ich bin auf Sparsamkeit angewiesen und möchte es mir von der Hand nicht selbst kaufen – würden Sie mich deshalb zu grossem Dank verpflichten. –
Wir haben jetzt alle Hände voll mit der Einrichtung unsers neuen Museums zu thun. Die Einrichtungen zeigen bei genauem Zusehen doch recht viele und erhebliche Mängel; namentlich fehlt es schon jetzt an Platz, und die meisten der schönen Pläne von Prof. Möbius werden wohl fromme Wün-||sche bleiben. Wir haben gar keine schlechte Sammlungen; namentlich eine sehr schöne Skelett-Sammlung, daneben freilich auch sehr viel Schund. Der grosse Hauptsaal mit drei Etagen reicht kaum für die Säugethiere und Vögel, obgleich er einen recht imponierenden Eindruck macht. Wenn ich Professor Möbius wäre, so würde ich mich auf die Aufstellung einer guten Lehrsammlung, einer Provinzial-, einer Ost- und Nordseesammlung beschränken und das übrige wieder wie früher aufspeichern. Ich freue mich, dass ich durch unsern Umgang tief in die Geheimnisse der „Museologie“ eingeweiht wurde.
Zu eignen Arbeiten bleibt mir der im Institut herrschenden fieberhaften Unruhe und meines medicinischen Studiums wegen wenig Zeit; ich hoffe aber doch noch eine Korallen-Arbeit mit Bemerkungen über die Morphologie der Medusen und mit allgemeinen tectologischen und promorphologischen Betrachtungen fertig zu bringen. Über Parameren, Antimeren etc, dergl. über die Prinzipien der Tectologie und Promorphologie habe ich jetzt doch andre Ansichten, || als ich sie in meiner Dissertation vertrat, mir gebildet.
Wie ich höre, ist ja Dr. Hentschel wieder in Jena. Sein kürzlich im Kosmos erschienener Aufsatz ist mir – leider – doch etwas zu sanguinisch. Ich habe mich in der letzten Zeit viel mit G. Jäger’s „Seelenviechern“ beschäftigt und glaube, dass die Sache dann doch nicht „so ganz ohne“ ist und es jedenfalls nicht verdient, dass man sie in so hohem Grade ignoriert oder ins Lächerliche zieht. Namentlich imponiert mir Jägers „Normalkleidung“, die ich jetzt selbst trage, um mir ein Urtheil darüber zu bilden.
In nächster Zeit erscheint das Mauritius-Buch. Im „Kosmos“ ist mein Chef wieder mal arg mitgenommen (ich weiss nicht, ob er es schon gelesen hat); ganz Unrecht hat Carus Sterne nicht, aber des „Speciesmachens“ kann man Möbius doch eigentlich nicht beschuldigen. –.
Ich fürchte, mein Brief ist fast zu lang geworden. –
Besten Gruss!
W. Haacke.
a eingef. unter Damenstr.: E. H. d. Fischerstr.; gestr.: bei