Wilhelm Haacke an Ernst Haeckel, Kiel, 26. Oktober 1880
Kiel, d. 26. October 1880.
Hochverehrter Herr Professor!
In den nächsten Tagen werde ich lebende und conservirte Scyphostomen für Sie absenden; dieselben sind jetzt in grossen Mengen zu bekommen und halten sich bei den kühlen Temperaturen sehr gut. Ephyralen giebt es aber schon seit mehreren Monaten nicht mehr. Was die Vermehrung und Verminderung der normalen Paramerenzahl bei Aurelia anlangt, so sind sechszählige am häufigsten; drei- und fünfzählige habe ich etwa je vier- bis fünfmal beobachtet, mehr als 6 Parameren nie. Ich habe jetzt noch eine Aurelia mit 9 Randkörpern und entsprechender Vemehrung der Radialkanäle; ich werde || dieselbe mitschicken. Cyanea-Larven habe ich nicht mehr erbeuten können, als die, welche ich Ihnen geschickt habe; dieselben sind sehr selten anzutreffen; die Cyanea ist überhaupt bei uns viel seltener als Aurelia.
Ihr Brief hat mich auf einen willkommenen Gedanken gebracht; und wenn Sie in der Lage sind, mir weitere Rathschläge und Mitteilungen geben zu können, so würde ich dafür sehr dankbar sein und möchte Sie bitten, mir, so bald es Ihre Zeit gestattet, darüber zu schreiben. Ich möchte es nämlich sehr gern meinem Freunde Breitenbach nachmachen und ins Ausland gehen. Nun sollen ja, wie Sie schreiben, die Aussichten auf Fortkommen in Australien, Neuseeland und Indien günstig sein. Am sympathischsten ist mir der Gedanke, nach || Neuseeland zu gehen. Ich weiss nun aber nicht, ob man das ohne Mittel auf gut Glück hin unternehmen darf. Zwar würde ich mich vorläufig gern mit einer bescheidenen Stellung begnügen; ich würde gern an irgend einer Unterrichtsanstalt Lehrer werden; aber ich müsste doch recht bald so viel verdienen, um davon leben zu können, denn Mittel hab ich gar nicht und die academische Carriere hätte ich auch nur dann aushalten können, wenn ich hier in Kiel geblieben wäre. Liessen sich nun schon wohl vorher Schritte thun, oder soll ich getrost abreisen? Es giebt ja auch auf Neuseeland vier Museen; ob dort wohl anzukommen wäre?
Ich hab so grosse Lust, die Reise zu unternehmen, dass ich sie auf die Gefahr hin, mich längere Zeit nothdürftig durchschlagen zu müssen, riskiren möchte. Theilen Sie mir, || bitte, mit, was Sie darüber wissen und denken; Sie würden Ihrem, freilich etwas zudringlichen, Schüler einen grossen Dienst dadurch erweisen. Je eher ich fortkommen kann, desto lieber thue ich es. Ich habe mich Ende September zum Militärdienst gestellt; das Ergebniss der Untersuchung war glücklicherweise; dauernd dienstunbrauchbar wegen hochgradiger Kurzsichtigkeit. Ich muss mich nun freilich noch einmal untersuchen lassen, hoffe aber, dass der betreffende Arzt ebenso denken wird, und dann darf ich ja unbeanstandet ins Ausland gehen. Übrigens leistet die Kurzsichtigkeit einem Zoologen vorzügliche Dienste.
Wir sitzen jetzt schon in unserem neuen Institut; aber die Einrichtung macht uns viel zu schaffen.
Was sagen Sie zu Prof. Möbius’ Foraminiferen-Species-Vortrag?
Unser früherer jenenser Schüler Matzdorff arbeitet jetzt bei uns in Kiel.
Für das beginnende Semester wünsche ich ein recht volles Colleg!
Mit besten Grüßen
W. Haacke.