Wilhelm Haacke an Ernst Haeckel, Kiel, 27. Juli 1880
Kiel, d. 27. Juli 1880.
Hochverehrter Herr Professor!
Zunächst meinen besten Dank für die freundliche Besorgung der 10 Exemplare meiner Dissertation! Diesem Danke muss ich die Bitte um Entschuldigung meines langen Schweigens hinzufügen; verschiedener Umstände halber konnte ich nicht eher zum Schreiben kommen.
Ich erlaube mir anbei Ihnen die erbetene Rechnung zu übersenden; sie ist etwas gross geworden und ich will nur hoffen, dass das übersandte Material entsprechende Dienste leistet. Sie haben vielleicht die Güte, meinem Freunde Soltwedel, der wohl täglich im biologischen Institut zu treffen ist, bei Gelegenheit das Geld einzuhändigen; er hat Auftrag, dasselbe in meinem Interesse zu verwenden. ||
Soltwedel, welcher ja auf einige Zeit nach Kiel und Kopenhagen gehen will, schrieb mir, dass er von Ihnen Empfehlungen nach Kopenhagen bekommen würde; ich bitte Sie, ihm dann auch solche für mich mitzugeben, da ich gleichfalls in den Ferien Kopenhagen einen Besuch abstatten möchte.
In unserem Institut sieht es jetzt recht wüst aus; wir beziehen zum October das neue Institutsgebäude und sind jetzt schon mit dem Einpacken unserer Sachen beschäftigt. Unser neues Institut ist recht grossartig und comfortabel, es soll eine „Muster-Anstalt“ werden und Prof. Möbius hofft, dass ich ein gut Stück dazu beitragen soll. Hoffentlich wird in Kiel wenigstens der Satz, den Sie von den gleichen Instituten aufgestellt haben, eine Ausnahme erleiden.
Ich bekomme im neuen Institut neben einem schönen Arbeitszimmer zwei hübsch möblirte Zimmer für meinen Privatgebrauch. Ich fange überhaupt an, in Kiel warm zu werden, und habe deshalb halb und halb beschlossen, meine Stelle nicht aufzugeben und mich – ich denke schon im nächsten Semester – hier zu habilitiren. Zwar möchte mein Freund Gadow gern hierher; ich denke aber, es ist verzeihlich, wenn ich das festhalte, was ich habe. Ich komme hier fast mit meinem Gehalt aus und bin darauf gefasst, eine Reihe von Jahren zu warten. Die Oberlehrercarriere scheint mir in gegenwärtigen Geist für einen Schüler Haeckels recht unerquickliche Aussichten zu bieten. Prof. Möbius ist mit meinem Plan sehr einverstanden – ich glaub, ich treffe nicht leicht so günstige Verhältnisse wieder, wie in Kiel, zumal, da Möbius der einzi-||ge Zoologe hier ist, und auch namentlich, da er mir in der liebenswürdigsten Weise in jeder Hinsicht entgegen kommt. Es würde mir von grossem Werthe sein, gelegentlich, Ihre Ansicht über mein Vorhaben zu vernehmen. – Einige Zuhörer denk ich auch schon zu bekommen.
Wir haben auf einige Monate Besuch von Edouard van Beneden’sa Assistent Julien Freipont, einem noch ganz jungen, aber, wie es scheint, recht tüchtigen Zoologen. Er will hier deutsch lernen und Untersuchungen über Trematoden machen. Sie kennen wohl seine Entdeckung der Wimpertrichter bei den Trematoden; Prof. Möbius und ich wissen sie jetzt auch zu finden – leicht ist es nicht.
Nächstens erscheint auch Möbius sein Mauritius-Werk. Ich habe für dasselbe die Ophiuren, Holo-||thurien und Korallen bestimmt; bei den Holothurien habe ich eine ganze Anzahl neuer Species gemacht, die ich später ausführlich beschreiben werde. Möbius freut sich, dass ich mich in Bezug auf die Systematik nicht so wiederhaarig erweise, wie seine frühern Assistenten. Ich arbeite aber auch weder über die Anatomie der Korallen an Spiritus-Material von Mauritius, weiss aber noch nicht, was dabei herauskommen wird. Ausserdem denke ich eine grössere Arbeit über die Kalkkörperchen der Holothurien zu machen. Ich habe mir eine Theorie darüber zurecht gemacht, nach welcher sich ihre eigenthümlichen und mannigfaltigen Formen als Stöcke von Aragonit-Krystallen nachweisen lassen, und ich glaube zuversichtlich an die Richtigkeit dieser Theorie.||
Ich weiss nicht, ob ich mich täusche, wenn ich an den grossen diagnostischen Werth der Kalkkörper der Holothurien glaube, und wenn ich es für ein verdienstliches Unternehmen halte, ein Werk zum Bestimmen der Holothurien nach ihren Kalkkörpern zu b schreiben. Die Holothurien sind in manchen Beziehungen, z. B. in Bezug auf ihre geographische Verbreitung, recht interessant, und ein Werk, das ihre, bei den jetzigen Hülfsmitteln äusserst schwierige, Bestimmung erleichtert, dürfte daher willkommen sein. Vielleicht gelingt es mir, das erforderliche Material zusammenzubringen, Prof. Möbius will dazu behilflich sein.
Jüngere Medusen sind jetzt schwer zu bekommen; viele Aurelien haben schon über einen Fuss im Durchmesser, die Cyanea sind noch grösser. Soll ich c einige || ganz grosse Exemplare für Sie conserviren? Ohne Ihre ausdrückliche Erlaubniss möchte ich es nicht thun. Im Herbst wird es dann auch wieder Scyphistomen geben; ich werde jetzt besser aufpassen.
Morgen kommt der Kronprinz nach Kiel, um dem Stapellauf einer neuen Panzerfregatte beizuwohnen; bei dieser Gelegenheit soll auch ein grosses ausser Dienst gestelltes Kriegsschiff durch Torpedos im Kieler Hafen gesprengt werden. Ich fürchte nur, dass das Vergnügen verregnen wird, denn regnen thuts in Kiel alle Tage.
Prof. Möbius lässt Ihren Gruss freundlichst erwidern; ebenso grüsst Sie und Ihre Frau Gemahlin mit dem Wunsche, die Ferien vergnügt zu verleben,
Ihr Schüler
W. Haacke.
a korr. aus: Bededen’s; b gestr.: mach; c gestr.: noch