Wilhelm Haaecke an Ernst Haeckel, Kiel, 5. Oktober 1879

Kiel, den 5. October 1879.

Geehrter Herr Professor!

Es that mir unendlich leid, dass ich bei meinem Fortgange aus dem lieben alten Jena nicht persönlich von Ihnen Abschied nehmen und Ihnen danken konnte für die zahlreichen Beweise Ihres Wohlwollens und die vielen Unterstützungen, welche Sie mir durch Rath und That zu Theil werden liessen. Nehmen Sie deshalb jetzt mit der aus innigster Überzeugung ausgesprochenen Versicherung vorlieb, dass Ihnen der Dank gebührt für das Beste, was an mir ist!

Es interessiert Sie vielleicht, einiges über meine jetzige Stellung zu erfahren. Herr Professor Möbius nimmt sicha in liebenswürdigster Weise meiner an, und die beiden am Institut ausser mir noch angestellten Leute, der Diener und der Präparator erleichtern mir meine Arbeit auf jede Art und Weise. Der Präpa-||rator Zietz ist ein Mann, wie es nur wenige geben dürfte; einen überraschenden Reichthum an Kenntnissen auf allen Gebieten des Systems, einer bewundernswerthe Geschicklichkeit im Anfertigen zootomischer Präparate, und verbindet damit ein bei solchen Leuten seltenes Verständnis für wissenschaftliche Probleme, so dass ich manchmal ganz erstaunt bin.

Unsere systematische, zootomische und ornithologische Sammlung ist recht reichhaltig, auch auf dem Gebiete der wirbellosen Thiere. Leider gilt dasselbe nicht von der Bibliothek des Instituts; doch wird hier die Universitäts-Bibliothek und die Privat-Büchersammlung von Möbius aushelfen können.

Das Institut findet sich leider noch nicht in dem neu dafür erbauten grossartigen Gebäude; die jetzigen Räume desselben sind sehr eng und ungemütlich; jedoch ist das Zimmer, in welchem ich jetzt mit dem Präparator zusammen arbeite, ziemlich angenehm. || Meine Ausrüstung ist eine sehr liberale.

Ich habe meine Thätigkeit mit der Bestimmung der Ophiuren-Sammlung begonnen, was freilich noch auf manche Schwierigkeiten stösst, für die ich jedoch auch manchmal belohnt werde. So entdeckte ich heute eine wahrscheinlich noch unbeschriebene Art, welche eine sehr wunderbare und höchst interessante Form von Mimicry zeigt; mit ihr zusammen war ein Zweig einer Gorgonie gefischt, auf welcher die fragliche Art wahrscheinlich lebt, und die Mimicry besteht nun darin, dass einige der am meisten dorsal gelegenen Stacheln der lateralen Armschilder vollkommen die Form der Personen der Gorgonien nachahmen. Die Vertheilung dieser eigenthümlich umgebildeten Stacheln ist eine ziemlich unregelmässige; ihre Form ist durch Übergänge mit der der gewöhnlichen Stacheln verbunden, und anscheinend ist auch die Farbe der polypoiden Stacheln jener der Gorgonia-Polypen ähnlich. || Diese Stacheln sind auch im Gegensatze zu den übrigen etwas beweglich, wenn auch nicht eingelenkt, und auch das wird Mimicry sein, da sie ihrer dorsalen Stellung wegen schwerlich als Bewegungsorgane dienen dürften. Wir besitzen auch prachtvolle Exemplare jener Gorgonie auf welcher die von v. Martens beschriebene Hemienryale lebt; die Striche sind ganz bedeckt mit dieser Ophiure, bei welcher die Mimicry so weit geht, dass man die Ophiure nur bei aufmerksamer Betrachtung entdeckt. Ich hätte wohl Lust, über diese beiden merkwürdigen Fälle von Mimicry einen populären Aufsatz für den „Kosmos“ zu schreiben. Auch Möbius hält das Thema für geeignet; was meinen Sie dazu?

Wir besitzen auch ganz vorzügliche Exemplare von Kometen-Formen von Seesternen, besser als diejenigen welche Ihnen zu Gebote standen. Auch darüber möchte ich etwas publiciren, womit Möbius ganz einverstanden ist. Nur möchte || ich genau wissen, ob Sie eine solche Publication nach dem Erscheinen Ihrer Arbeit über denselben Gegenstand noch für erspriesslich halten. Da unsere Kometen-Formen Spiritus-Präparate sind, so wäre auch eine Untersuchung der inneren Theile möglich; gleichzeitig bietet sich hier Gelegenheit, Regenerations-Experimente an lebenden Seesternen anzustellen. Haben Sie vielleicht selbst Lust, die Kometenformen zu untersuchen? Es ist schon früher die Rede davon gewesen, sie ihnen zu schicken. Vielleicht ist es auch eine Arbeit für Dr. Teuscher.

Sie wünschen, wie Sie mir in der letzten Zeit meines Dortsein’s sagten, noch einige Exemplare von Cyanea zu besitzen. Die Cyanea kommt im Kieler Hafen zwar etwas spärlich vor, jedoch werden wir Ihre Wünsche wohl befriedigen können. Heute Morgen hatten wir noch zwei hübsche lebende Exemplare. Unser Präparator präpariert die Medusen sehr schön mit Osmium; || sollen wir Ihnen solche Präparate schicken, und wie viel? Oder genügt für Ihre Zwecke ein Einsetzen in Alkohol? Baldige Nachricht wäre uns sehr erwünscht, da die Cyanea später schwerer zu haben sein wird.

Es bietet sich jetzt auch die schönste Gelegenheit, die Entwickelungsreihe der Aurelia zu sammeln und zu präparieren. Wir besitzen sehr schöne Demonstrations-Präparate; so viel ich weiss, ist in der jenenser Sammlung kein solches Präparat vorhanden und Ihnen vielleicht erwünscht.

Leben Sie wohl, Herr Professor; grüssen Sie unseren braven Pohle und seien Sie selbst gegrüsst von

Ihrem

dankbaren und treuen Schüler

W. Haacke.

Kiel, Kirchenstrasse 6.

Brief Metadaten

ID
30577
Gattung
Brief ohne Umschlag
Entstehungsort
Entstehungsland aktuell
Deutschland
Entstehungsland zeitgenössisch
Deutsches Reich
Datierung
05.10.1879
Sprache
Deutsch
Umfang Seiten
7
Umfang Blätter
4
Format
11,4 x 18,0 cm
Besitzende Institution
EHA Jena
Signatur
EHA Jena, A 30577
Zitiervorlage
Haacke, Wilhelm an Haeckel, Ernst; Kiel; 05.10.1879; https://haeckel-briefwechsel-projekt.uni-jena.de/de/document/b_30577