Richard Hertwig an Ernst Haeckel, München, 15. Februar 1914
München d. 15. Februar 1914.
Hochverehrter lieber Lehrer und Freund!
Morgen feiern Sie Ihren achtzigsten Geburtstag. Wie ich aus der Zeitung ersehe, haben Sie es wie vor 10 Jahren gemacht und Jena verlassen, um im engsten Kreis Ihrer Familie den Tag zu verbringen. Das ist mir ein erfreuliches Zeichen, daß Sie durch das unglückselige Bein nicht mehr in dem Maße an Ihrer freien Bewegung verhindert werden, als es noch vor einem Jahr der Fall war. Mögen der unternommenen Reise bald weitere || folgen!
Wenn Sie nach Jena zurückkommen, werden Sie sich durch Berge von Glückwünschen aller Art, Briefen und Telegrammen durcharbeiten müßen. Mir thut es Leid, daß ich auch meinerseits Ihre Mühwaltung vergrößern muß. Aber ich kann den Tag nicht vorbeigehen lassen, ohne meinem lieben alten Lehrer zu versicherna, wie ich in alter unveränderter Dankbarkeit ihn verehre. Kürzlich bei der Niederschrift eines kleinen Beitrags zu der für den morgenden Tag bestimmten Festschrift hatte ich Veranlassung, der Zeiten zu gedenken, in denen ein freundliches Geschick mich nach Jena führte und Sie den bestimmenden Einfluß || auf meinen künftigen Lebensgang gewannen. Es waren schöne und glückliche Tage und Stunden die ich Ihnen und Ihrer lieben Familie schulde. Tausend Dank dafür!
Ihr Walther hat mir vor einigen Tagen eine große Freude bereitet, indem er mir in einer Reihe von Photographien Ihren Werdegang vor Augen führte. Völlig neu waren mir Ihre Jugendbilder, auf denen auch Ihre Eltern photographirt sind. Interessant ist zu sehen, wie frühzeitig schon die Grundzüge Ihres Gesichts sich fest entwickelt haben. So ist es wohl auch mit Ihrem Charakter gewesen. Ihnen ist das Glück beschieden gewesen, im Wechsel der Zeiten sich || selbst getreu zu bleiben.
Auch von meiner Familie soll ich Ihnen die herzlichsten Grüße übermitteln. Allen dreien geht es gut. Mein Otto und Marianne sind eifrige Skiläufer und Florettfechter geworden. Dabei sind sie auch tüchtig in ihrenb künstlerischen Interessen, Otto als Architekt, Marianne, indem sie sich ernsthaften Studien in der Malerei zuwendet.
In alter Freundschaft und Verehrung
Ihr
Richard Hertwig.
a korr. aus: verzichten; b korr. aus: im