Richard Hertwig an Ernst Haeckel, Schlederlohe, 5. April 1912

Schlederlohe Post Wolfratshausen

d. 5. April 1912.

Mein lieber hochverehrter Lehrer und Freund!

Seit Monaten habe ich die Absicht, Ihnen zu schreiben, bin aber, durch das bunte Vielerlei meiner Geschäfte verhindert worden, es zu thuen. Nun werden Schmerz und Trauer Ursache des Schreibens. Herzlichen Dank für diea warme Theilnahme, welche Sie meiner Frau und mir ausgedrückt haben! Ihr Brief erreichte uns in Schlederlohe, wo Sie uns vor 1½ Jahren, als wir noch so glücklich und sorglos in die Zukunft blickten, mit Ihrem Besuch || erfreuten. Wie ist das Alles nun so ganz anders geworden! Alle die schönen Hoffnungen, zu denen Walther’s wissenschaftliche Entwicklung in den letzten Jahren berechtigte, sind mit einem Schlag vernichtet. Seine Freude am Segelsport ist ihm zum Verhängniß geworden. Am 23. März fuhr er mit 2 jungen Collegen, ein jeder im eigenen Boot, bei schönstem Wetter auf dem Wannsee hinaus. Ein plötzlich einsetzender Sturm brachte sein Boot zum Kentern. Er muß dabei unter das Boot oder das Segel gerathen und rasch bewußtlos geworden sein. Bootsleute, welche ihn kentern sahen und sofort zur Unglücks-||stelle fuhren, fanden ihn nicht mehr vor. Dabei war er ein guter Schwimmer und durchb das Baden in der Isar gewohnt, auch im Wellengang zu schwimmen. Was uns einigermaßen tröstet, ist daß er selbst so rasch und in vollem Glückgefühl aus dem Leben geschieden ist. Er war gerade die letzte Zeit über den glücklichen Fortgang seiner Untersuchungen so froh gewesen, wie alle seine Freunde uns erzählten. Das letzte was wir über ihn gehört haben, war daß er einem der mit ihm aussegelnden Bekannten zurief: „So wundervoll hätte er es sich nicht vorgestellt, im eigenen Boot || zu segeln.“

Mit lebhaftem Bedauern habe ich Ihrem Brief entnommen, wie sehr Sie gedrückter Stimmung sind. Bisher hat eine wunderbare geistige und körperliche Elastizität bis ins hohe Alter Sie begleitet. Nun müssen Sie körperliche Leiden erdulden, welche so viele frühzeitiger noch an engen Raum fesseln. Aber Ihre geistige Frische ist doch ungebrochen geblieben. Möge dieselbe Ihnen über die körperlichen Leiden hinweghelfen! Baeyer, den sein schwerer Körper unbeweglich macht, genießt schon seit vielen Jahren die Natur nurc noch vom Wagen aus.

Vieled herzliche Grüße sendet Ihnen und Ihrer lieben Frau in alter Freundschaft und Dankbarkeit

Ihr

Richard Hertwig.

Auch von meiner Frau vielen Dank und beste Grüße.

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Brief Metadaten

ID
30531
Gattung
Brief ohne Umschlag
Entstehungsort
Entstehungsland aktuell
Deutschland
Entstehungsland zeitgenössisch
Deutsches Reich
Datierung
05.04.1912
Sprache
Deutsch
Umfang Seiten
4
Umfang Blätter
2
Format
15,1 x 19,1 cm
Besitzende Institution
EHA Jena
Signatur
EHA Jena, A 30531
Zitiervorlage
Hertwig, Richard an Haeckel, Ernst; Schlederlohe; 05.04.1912; https://haeckel-briefwechsel-projekt.uni-jena.de/de/document/b_30531