München d. 23. Febr. 1889.
Hochverehrter u. lieber Freund!
Wie an Allem was Sie und Ihre liebe Familie an Frohem und Traurigen erfahren, so habe ich auch an dem Verlust den Sie durch den Tod Ihrer lieben Mutter erlitten haben herzlichen Antheil genommen. Gleichwohl traten bei mir die Gefühle der Trauer hinter der Empfindung zurück, daß hier ein reiches und glückliches Leben seinen friedlichen Abschluß gefunden hat. Ihre liebe Mutter hat ja in ihrem Leben das || große Glück gehabt, bis in ihr hohes Alter mit regem Geist sich an dem zu erfreuen was an wissenschaftlichen Ehren und häuslichem Glück ihrem Lieblingssohn zu Theil geworden ist.
In unserer kleinen Familie geht Alles vom Besten. Unser kleiner Walther macht uns nur Freude. Er ist ein ausgelassener lustiger Bub, der nun selten und dann aus immer aus guter Ursache zu brüllen anfängt. Ein unruhiger Geist will er schon nicht mehr liegen bleiben, sondern macht energische Anstrengungen zum Aufsetzen, trotzdem erst 4½ Monat || alt ist. Er ist aber auch überall kugelrund und hat schon das stattliche Gewicht von 16 ℔.
Von Oscar habe ich gestern Nachrichten bekommen welche nicht ganz günstig lauteten. Er hat einen starken Carfunkel gehabt, welcher ihn 14 Tage ans Zimmer fesselte. Da er immer gegen entzündliche Affectionen keine große Widerstandskraft hatte, ist er von der Krankheit sehr angegriffen.
Im Monat März werde ich noch in München bleiben, dann auf 4 Wochen während des April’s nach || Triest gehen. Zuvor aber werde ich mich erkundigen, wie in der letzten Zeit die Witterung war. War es kalt, so bleibe ich zu Hause um nicht wieder den Mißerfolg zu erleben wie vor 2 Jahren.
Unsere Botanikerprofessur ist noch nicht besetzt. Die Facultät hat Strasburger primo loco, Stahl, Vöchting secundo loco vorgeschlagen.
An Sie und Ihre liebe Familie sendet zugleich auch im Namen seiner Frau die herzlichsten Grüße
Ihr treu ergebener
R. Hertwig