Hertwig, Richard

Richard Hertwig an Ernst Haeckel, Königsberg, 14. November 1881

Koenigsberg den 14. November 1881.

Sehr geehrter Herr Professor!

Während ich hier bei einem melancholisch grauen Novemberhimmel am Schreibtisch sitze und draußen die zweite Residenzstadt Königsberg in einer Sündfluth von Schmutz schwimmt, sind Sie wohl schon in Ceylon angelangt und genießen die ersten überwältigenden Eindrücke der großartigen Tropennatur. Wie gut Sie es mit der Reise getroffen haben, indem Sie dieselbe als Gast des Österreichischen Lloyds Ier Cajüte zurücklegten, habe ich schon durch Oscar erfahren. Möge es ein gutes Omen für den Fortgang der Reise sein, daß gleich die ersten Anfänge derselben vom Glück begünstigst waren.

Doch Sie werden begierig sein Etwas über Königsberg zu erfahren, das Sie ja durch Ihre Anwesenheit || auf der Naturforscherversammlung kennen. Vielleicht entsinnen Sie sich aus dieser Zeit auch noch des zoologischen Museums, welches a von Carl Ernst von Baer als ein für damalige Zeit recht stattlicher Bau geplant worden ist. Es hat etwa den 3fachen Raum wie unser Jenenser Museum, ist aber mit Bälgen so vollgestopft, daß für Unterrichtszwecke nur ein Auditorium für etwa 30–40 Zuhörer vorhanden ist, sonst aber auch gar Nichts; kein Raum zum Microscopiren, kein Bibliothekszimmer, kein Gläserzimmer. Ich werde es nun Ihnen nachmachen, die Säugethiere und Vögel zusammenrücken, daß man von ihnen sagen kann „Kopf an Kopf gedränget sitzen, es brechen fast des Hauses Stützen, herbeigeströmt von Fern und Nah, die ausgestopften Bälger da.“ Ein Sammlungsraum wird dann ein schönes Auditorium abgeben, das Auditorium und ein zweiter Raum werden zum || Microscopiren dienen. Später wird es noch besser werden. Schon zu Zaddachs Zeiten ist ein Project zu einem Erweiterungsbau ausgearbeitet worden. Derselbe soll incl. innerer Einrichtung 80,000 Mk kosten und darin bestehen, daß ein 3ter Stock aufgesetzt wird. Dieser Stock würde zwei hohe geräumige Sääle enthalten, so groß daß ¾ der ganzen jetzigen Sammlung darin Platz hat. Dahin werden später die Elephanten, Cameele, Giraffen, Rhinoceronten, umschwärmt von einigen 1000 Vögel und Insecten, auswandern und so mir Platz machen für eine methodisch angelegte Unterrichtssammlung. Wenn das einmal erreicht ist, dann bin ich mit meinem Institut gut situirt.

Der Etat meines Instituts beträgt nämlich nahe an 6000 Mk. Darin sind nicht inbegriffen 2000 Mk für den Conservator || 1000 Mk für den Diener (beide haben ausserdem freie Wohnung) und 1050 für den Assistenten. Mit einem solchen „Stab“ läßt sich schon Etwas erreichen, wenn ich mir die Leute erst ordentlich gezogen habe.

Wie zu erwarten war, habe ich von Microscopen nicht viel vorgefunden, ein großes Ding, das man geneigt sein könnte, für eine Canone zu halten, und zwei moderne Hartnack; voilà tout! Ich habe sofort 1 weiteren Hartnack, zwei Zeiß’sche Microscope u. 1 Zeißsches Reisemicroscop bestellt. Ich habe nämlich eine besonderen Etat (470 Mk) zur wissenschaftlichen Bereisung der Provinz Ostpreußen. Auf dessen Conto werde ich das Reisemicroscop nehmen. Tafeln sind auch nicht vorhanden; ich habe sogleich Leuckart’s Wandtafeln angeschafft und Müller Aufträge gegeben. ||

Mit dem Besuch kann ich zufrieden sein. 40 Zuhörer in der Zoologie und zwar nur Naturwissenschaftler; da Zaddach im Sommer Zoologie gelesen hatte und das Colleg von Beneke fortgesetzt worden war, haben die Mediciner das Colleg nicht angenommen. Im Colleg über Parasiten sind etwa 100. Ich glaube auch im Privatcolleg später auf 80 Zuhörer rechnen zu können. Mit den Collegiengeldern wird es freilich dieses Semester sehr schlecht stehen. Unter den 40 sind 20–25 Repetenten, welche gar nicht zahlen, 5 welche gleich zahlen, bei den übrigen ist das Honorar gestundet.

Hier in Königsberg habe ich allgemein gehört daß Schwalbe b für mich sehr warm eingetreten ist. Caspary, welcher sich anfänglich heftigst || gegen meine Berufung gesträubt hat, hat er meine Arbeiten zu lesen gegeben und ihn dadurch gewonnen, so daß er später ebenfalls für mich war. Das hat viel dazu beigetragen, unser gegenseitiges Verhältniß von Anfang an günstig zu gestalten. Wir sprechen beide von den Jenenser Angelegenheiten gar nicht und vermeiden auf diese Weise jede Differenzen.

Nächst Schwalbe verkehre ich am meisten mit dem Mathematiker Weber und mit Bauer, welche beide in demselben Hause wohnen. Wie rasch ich dort bekannt geworden bin, können Sie aus dem äußeren Anzeichnen entnehmen, daß ich schon 4mal bei Weber’s und 3mal bei Bauer’s gewesen bin. Frau Weber hat mir auch meine Kücheneinrichtung besorgt. Sie müßen nämlich wissen, daß ich wenn auch || nicht Hausvater, so doch Hausvorstand geworden bin; esse Mittags und Abends zu Hause, habe meine Köchin, welche den Rubicon der 30 Jahre bald zum zweiten Male überschreitet; kurz habe meine eigene Wirthschaft mir eingerichtet, weil die etwas isolirte Lage des Instituts es so erforderte.

Was Königsberg, Stadt und Umgegend, anlangt, so kann ich nicht behaupten, daß die vielfältigen ungünstigen Urtheile, welche ich früher gehört habe, Unrecht gethan hätten. So enge schmutzige Straßen findet man doch selbst in Kleinstädten selten. In der Neuzeit wird nun allerdings viel an der Verschönerung gearbeitet; indessen 10 Jahre werden noch vergehen, ehe die Anstrengungen zu einem sichtbaren Erfolg geführt haben || werden. Spaziergänge sind das Glacis der Festung, wo man fast ausschließlich zwischen kümmerlichen Birkenanpflanzungen geht. Um so höher ist anzuschlagen, daß mein Institut einen schönen großen Garten mit alten schattigen Bäumen besitzt, dazu noch ein kleines Gartenhaus, in welchem Zaddach fast den ganzen Sommer zugebracht haben soll.

Viel Spaß macht mir das rege Treiben im Hafen; der Pregel ist nämlich so tief daß selbst größere Dampfer bis nach Königsberg hinauffahren können.

Hoffentlich trifft dieser Brief Sie in ergiebiger und zufriedenstellender Thätigkeit und auch unter angenehmen äußeren Lebensverhältnissen. Vermöge der bewundernswerthen Elasticität und Energie, mit welcher Sie die Schwierigkeiten fremdartiger Lebensbedingungen rasch bemeistern, werden Sie sich wohl schon ganz Ceylonesisch eingelebt haben. Seien Sie vielmals und herzlichst

gegrüßt von Ihrem treu ergebenen

Richard Hertwig

a gestr.: durch; b gestr.: ebenfalls

 

Briefdaten

Verfasser
Empfänger
Datierung
14.11.1881
Entstehungsort
Entstehungsland
Besitzende Institution
EHA Jena
Signatur
EHA Jena, A 30449
ID
30449