Hertwig, Richard

Richard Hertwig an Ernst Haeckel, Messina, 11. März 1879

Messina den 11.3.79.

Sehr geehrter Herr Professor!

Seit 14 Tagen sind wir nun in Messina und zwar wiederum im Albergo Trinacria, welches jetzt umgesiedelt ist, dicht neben dem Mumicipio liegt und sich im Verhältniß zu früher wesentlich verbessert hat. Die wenigen Male, die wir bisher ausgefahren sind, haben uns reiche Ausbeute geliefert. Es scheint als ob dieses Jahr viel günstiger ist als die vorhergehenden.

An die Radiolarien bin ich noch nicht gekommen. Ich habe Actinien und Ktenophoren gleichzeitig in Angriff genommen. Bei ersteren ist es mir schon gelungen Nerven ähnlicher Art wie bei den Medusen nachzuweisen; letztere dagegen bieten der Untersuchung viel Schwierigkeit. Die histologischen Elemente welche in der Gallerte liegen, sind so mannig-||faltig und von dem, was man bei anderen Thieren zu sehen gewohnt ist, so sehr abweichend, daß große Vorsicht bei der Deutung nothwendig ist. Auch das Ektoderm, der Sinneskörper und die Bläschenreihen, sind nicht ganz leicht. Oscar arbeitet zunächst über den Bau und die Entwicklung der Sagitta.

In Messina haben wir auch den Dr. Hatschek kennen gelernt; er hat uns recht gefallen. Mehrfach haben wir Gelegenheit gehabt, seine ganz außerordentliche Gewandtheit in der microscopischen Technik zu bewundern. Er arbeitet über die Entwicklung von Echiurus; im April will er nach Thaso übersiedeln und dort den Amphioxus behandeln. Da er viel Energie besitzt, so glaube ich, daß er eine gute Arbeit anfertigen wird. Nach seiner Rückkehr aus Italien gedenkt Hatschek sich in Wien zu habilitiren.

Die Messineser Gesellschaft haben wir fast in derselben Verfassung vorgefunden, wie vor einem Jahr; nur || der alte Sarow und Frau sind nicht mehr hier; sie sind dauernd nach Zürich übergesiedelt, wo eine Tochter von ihnen verheirathet ist. Klostermann haben wir über das Mißverständniß nicht aufgeklärt, in seiner Familie haben wir gestern a einen sehr gemüthlichen Abend verbracht.

Kleinenberg hat seit einigen Tagen seine Vorlesung begonnen; er liest wöchentlich 3 Stunden, hat aber gleichwohl viel zu thun, da er des Italienischen doch nicht so vollständig Herr ist, um frei sprechen zu können. Ab und zu treffen wir ihn beim Abendessen. Er ist sehr gealtert; namentlich ist sein Bart ganz grau geworden; sein misanthropisches Wesen hat er nicht abgelegt; er läßt Sie bestens grüßen.

Zu Besuch bei seinem Schwiegervater ist auch Prof. Todaro aus Rom hier in Messina eingetroffen, ein gesprächiger Mann, der uns öfters Veranlassung bietet, unser Italienisch zu vervollkommnen. Er kennt die deutsche zoologische Literatur vortrefflich, || kann aber nicht Deutsch sprechen. Ihm ist es zum großten Theil zu danken, daß Kleinenberg die Professur in Messina erhalten hat.

Unsere Reise von Mühlhausen nach Messina haben wir ziemlich beschleunigt. In Würzburg sind wir einen halben Tag auf der Durchreise geblieben und haben dort die Anatomie und das pathologisch anatomische Institut uns angesehen; letzteres ist ein außerordentlich luxuriös eingerichtetes Gebäude. Bei der Gelegenheit haben wir auch Kölliker kennen gelernt; das zoologische Institut hätten wir ebenfalls gern besucht, doch trafen wir Semper nicht an. In München, wo wir ebenfalls einen halben Tag blieben, haben wir Zittel und von Siebold aufgesucht. Letzterer war sehr gesprächig und erzählte uns Viel von seinen Untersuchungen über Parthenogenese. In Neapel und Florenz haben wir uns je einen Tag aufgehalten.

Mit dem Transport unserer Kiste sind wie diesmal nicht zufrieden. Wahrscheinlich in Folge des schlechten Wetters hat sich der Dampfer verspätet und trifft erst morgen ein. Zum Glück hatten wir uns vorgesehen und das Nothwendigste zum Arbeiten im Handkoffer mitgenommen.

Beste Grüße von Oscar und mir an Sie und Ihre Frau Gemahlin

Ihr ergebener

Richard Hertwig

a gestr.: Abend

 

Letter metadata

Verfasser
Empfänger
Datierung
11.03.1879
Entstehungsort
Entstehungsland
Besitzende Institution
EHA Jena
Signatur
EHA Jena, A 30446
ID
30446