Oscar Hertwig an Ernst Haeckel, Mühlhausen, 30. Dezember 1880
Mühlhausen den 30/12 1880.
Sehr geehrter Herr Professor!
Es ist gut, daß die Berufung Strasburger’s nach Bonn, welche ich aus Ihrer Postkarte erfuhr, sich noch so rasch entschieden hat. Denn dadurch ist es möglich, noch für das Sommersemester die Stelle neu zu besetzen. Erkundigungen einzuziehen, habe ich unterlassen, da ich mit keinem Botaniker, von dem man eine zuverlässige Auskunft erwarten könnte, näher bekannt bin. Am Montag kehren Richard und ich nach Jena zurück und wollen wir || dann die Hauptarbeiten eventueller Candidaten kennen zu lernen suchen, um uns ungefähr ein Urtheil über dieselben bilden zu können. Auf die Vorschläge von Strasburger bin ich recht gespannt. An unseren Referirabenden hat er sich über einen jüngeren Botaniker recht lobend ausgesprochen.
Durch den Fortgang von Schwalbe und Strasburger wird unser morphologischer Kreis nun plötzlich ein verändertes Aussehen erhalten. Hoffentlich gewinnen wir durch den neu zu berufenden Botaniker ein anregendes Element für denselben.
Ich denke, daß der Institutsbau durch die jüngsten Ereignisse auch in || neue Bahnen gelenkt wird. Am besten scheint es nur für Sie zu sein, wenn Sie das jetzige Institut ganz zur Verfügung erhielten und wenn für ein botanisches Institut entweder durch einen Anbau oder einen kleineren Neubau gesorgt würde.
Wir haben unsere Eltern in Mühlhausen gesund und in Folge der guten Nachrichten, die wir mitbrachten, auch recht heiter angetroffen. Das anhaltende Regenwetter hat uns mehr als uns lieb war, an die Stube gefesselt und zu dieser und jener Lectüre veranlaßt. Die mitgenommenen Forelleneier haben den Transport zum größeren Theil recht gut vertragen und werden, in Intervallen in Pikrinschwefelsäure eingelegt, || ein brauchbares Untersuchungsmaterial für mich bilden.
Unseren Eltern hat der Atlas Ihres Medusenwerkes, den wir ihnen gezeigt und erklärt haben, recht imponirt; auch unsere neue Arbeit hat ihnen viele Freude bereitet. Indem ich Ihnen und Ihrer Familie meine herzlichsten Wünsche zum Jahreswechsel darbringe und hoffe, daß die im Jahr 1881 sich abzeichnenden Veränderungen an der Universität Jena zu unserer vollen Zufriedenheit ausfallen mögen, bleibe ich
mit besten Grüßen
Ihr ganz ergebener
Oscar Hertwig.
Von meinen Eltern und Richard beste Glückwünsche zum Neujahr für Sie und Ihre liebe Familie.