Oscar Hertwig an Ernst Haeckel, mit Nachschrift von Richard Hertwig, Messina, 16. Januar 1877

Messina den 16 Januar 77.

Hochgeehrter Herr Professor!

Für Ihre freundliche Einrückung der Vorlesungsanzeigen für das Sommersemester sage ich Ihnen meinen besten Dank. Richard und ich waren der Meinung, daß Ende Januar der letzte Termin für die Einreichung sei; und hatten wir daher erst in den letzten Tagen, Richard an Sie und ich an Professor Schwalbe die Anzeigen eingesandt, die inzwischen wohl eingetroffen sein werden. Dieselben stimmen mit den Ihrigen fast nahe zu überein. Bis jetzt habe ich mich fast ausschließlich mit der Entwicklung und Befruchtung des Eies beschäftigt und darauf hin, Mytelus, Phyllichoe, Pterotrachea, Sagitta, Luidia und Asteracanthus sowie noch einmal Toxopneustes untersucht. Asteracantheri hat meine Hauptuntersuchung gebildet, da sich an || den durchsichtigen Eiern die Umbildung des Keimbläschens etc. Schritt für Schritt verfolgen läßt. Ich konnte dann hier auch feststellen, daß sich aus dem Keimfleck eine Kernspindel bildet, daß diese bei der Bildung der 2 Richtungskörper sich betheiligt und endlich in den Eikern sich umwandelt, der vom Spermakern befruchtet wird. Eine parthenogenetische Entwicklung der Eier, wie sie von Greeff beschrieben wird, ist mir zu betrachten nicht gelungen. Auch bei Toxopneustes werden Richtungskörper schon innerhalb des Ovarium gebildet; dagegen ist an den gelegten Eiern keine Spur mehr von denselben wahrzunehmen.

Ich bin jetzt auch mehr der Ansicht, daß die Bildung der Richtungskörper ein allgemeiner Entwicklungsproceß ist, und werde ich jetzt noch versuchen, dieselbe an Objecten nachzuweisen, an denen Richtungskörper bisher noch nicht bekannt ge-||worden sind. Daß zwischen dem Keimbläschen und den späteren Kerngenerationen eine Continuität besteht, scheint mir jetzt nicht mehr zweifelhaft zu sein.

In der letzten Zeit haben Richard und ich noch gemeinschaftlich eine 2te Arbeit begonnen. Gegenstand derselben sind die Sinnesorgane der Medusen, welche wir vergleichend anatomisch und histologisch untersuchen wollen. Der Hafen von Messina bietet ja zu einer solchen Arbeit ein überreiches Material.

Von Seesternen habe ich bis jetzt einzelne Arme mit der Scheibe in Alcohol eingelegt, als Untersuchungsmaterial. Zur Mitnahme von vollständigen großen Exemplaren sind auch unsere größten Gläser zu klein, so daß ich davon Abstand nehmen mußte. Von Corallen und pelagischen Thieren haben wir verschiedenes eingelegt, was die Ausfahrt uns eingebracht und die hiesigen Fischer zeitweise zugetragen haben. ||

Seit etwa 14 Tagen ist Fol mit seiner Familie in Messina eingetroffen, doch haben wir ihn bis jetzt noch nicht gesehen und gesprochen. Bei der Familie Klostermann und Jaeger sind wir seit Neujahr öfters gewesen.

Mit bestem Gruß von Richard und mir an Sie und Ihre verehrte Frau Gemahlin

Ihr ergebener

Oscar Hertwig.

[Nachschrift von Richard Hertwig:]

Wenn Sie nicht selbst in Absicht haben, über Protisten zu lesen, ersuche ich Sie freundlichst auch noch das einstündige Publicum über Protisten für mich anzuzeigen. Es wird ja wohl noch nicht zu spät sein.

Nochmals besten Dank und herzlichste Grüße von Ihrem

Richard Hertwig.

Brief Metadaten

ID
30377
Gattung
Brief ohne Umschlag
Entstehungsort
Entstehungsland aktuell
Italien
Entstehungsland zeitgenössisch
Italien
Datierung
16.01.1877
Sprache
Deutsch
Umfang Seiten
4
Umfang Blätter
2
Format
14,1 x 21,8 cm
Besitzende Institution
EHA Jena
Signatur
EHA Jena, A 30377
Zitiervorlage
Hertwig, Oscar; Hertwig, Richard an Haeckel, Ernst; Messina; 16.01.1877; https://haeckel-briefwechsel-projekt.uni-jena.de/de/document/b_30377