Carl Hauptmann an Ernst Haeckel, Bahnhof Sorgau in Schlesien, 28. April 1880

Bahnhof Sorgau, 28. April 1880

Schlesien

Hochverehrter Herr Professor!

Verzeihen Sie mir, daß ich mir erlaube, diese Zeilen an Sie zu richten.

Ich habe vergangene Ostern in Breslau an der Realschule am Zwinger das Abiturientenexamen gemacht und bin nun in der glücklichen Lage, mich dem Studium der Naturwissenschaft, welches ich mit ganzer Seele erwähle, voll und ganz zu widmen. Mein Sinn steht seit zwei Jahren nach Jena. Ich habe die Stunden herbeigesehnt, in welchen ich dort einziehen und unter Ihre Schüler mich werde rechnen dürfen. Die Zeit ist nun gekom-||men, mein Vater hat mir die Erlaubniß gegeben, meine Studien in Jena anzutreten, und meine Abreise ist auf den 18. Mai festgesetzt. Aus dem Grunde nämlich so spät, weil mein Vater mir die Gesamtsumme des zur Reise, zur Immatrikulation etc. erforderlichen Geldes erst zu Pfingsten geben kann. Der Bahnhof, welchen mein Vater übernahm, nachdem unser schönes Besitztum in Salzbrunn durch die schlechten Geschäftsverhältnisse entwertet worden war und er alles verloren hatte, ist ein Sommergeschäft, und Pfingsten erst bringt größere Einnahmen.|| Nun erfahre ich von einem Breslauer Freunde, daß die Anmeldung an der Universität innerhalb der ersten drei Wochen nach Beginn des Semesters und zwar persönlich erfolgen müsse, und daß eine Verzögerung der Anmeldung nur ausnahmsweise mit Genehmigung des Curators entschuldigt wird, wenn gewichtige Gründe vorliegen.

Da ich nicht weiß, ob der oben angeführte Grund stichhaltig ist, ich mich also nicht in die peinliche Lage versetzt sehen möchte, bei meiner späteren Ankunft in Jena abgewiesen zu werden und auf diese Weise ein halbes Jahr zu verlieren, so || wende ich mich in meiner Verlegenheit an Sie, hochverehrter Herr, mit der herzlichen Bitte, mir gütigst die Möglichkeit einer späteren oder brieflichen Anmeldung zu eröffnen. Zürnen Sie mir also nicht, wenn ich Sie um die große Güte bitte, mir mitzuteilen entweder, daß meiner Anmeldung zwischen dem 17. und 20. Mai nichts im Wege steht, oder daß eine briefliche Anmeldung mir gestattet ist. Ist letzteres der Fall, dann sende ich umgehend mein Zeugnis mit dem Immatrikulationsbetrage an den Herrn Curator der Universität, um dessen Namen ich ergebenst bitte.||

Ich habe lange Bedenken getragen, Sie mit dieser Bitte zu belästigen, da ich weiß, wie sehr rastlose, wissenschaftliche Tätigkeit a Sie in Anspruch nimmt; ich habe doch dazu entschlossen, in dem Bewußtsein, daß Sie am ehesten die Pein zu würdigen wissen werden, die mir dadurch bereitet würde, daß die Erfüllung meines größten Herzenswunsches, an welcher ich schon zu stehen meinte, um ein halbes Jahr hinausgeschoben werden sollte. In Rücksicht hierauf bitte ich Sie noch einmal um Vergebung meiner Bitte und versichere Sie, indem ich der Gewährung derselben freudigst entgegensehe, meiner herzlichsten Dankbarkeit.

In aufrichtiger Verehrung

Carl Hauptmann

a gestr.: in

Brief Metadaten

ID
30342
Gattung
Brief ohne Umschlag
Entstehungsland aktuell
Polen
Entstehungsland zeitgenössisch
Deutsches Reich
Datierung
28.04.1880
Sprache
Deutsch
Umfang Seiten
5
Umfang Blätter
3
Format
14,0 x 21,9
Besitzende Institution
EHA Jena
Signatur
EHA Jena, A 30342
Zitiervorlage
Hauptmann, Carl an Haeckel, Ernst; [Salzbrunn (heute: Szczawno-Zdrój)]; 28.04.1880; https://haeckel-briefwechsel-projekt.uni-jena.de/de/document/b_30342