Carl Hasse an Ernst Haeckel, Breslau, 17. Oktober 1874

Breslau d. 17ten Oct. 1874

Hochverehrter Herr Kollege!

Diese Zeilen werden Sie wohl in Jena treffen. Ich habe so lange mit denselben gezögert, weil ich mir denken konnte, daß Sie auf ferneren Ausflügen begriffen und Briefe von Gegenbaur bestätigten mir diese Vermuthung. Ich hätte Ihnen sonst schon längst meinen herzlichsten Dank für die schönen Geschenke abgestattet. Die Anthropogenie ist mir recht a propos gekommen und habe ich mich schleunigst dahinter gemacht das Werk durchzustudiren. Ich beglückwünsche Sie wegen der Darstellung, die klar, lichtvoll und überzeugend. Ich brauche Ihnen wohl nicht erst zu sagen, daß ich mit den Deduktionen auf morphologischem Gebiet einverstanden. Eine wahre Freude haben mir die große Anzahl der schematischen Figuren bereitet, um so mehr, weil ich aus eigener Erfahrung den hohen zeichnerischen Werth ähnlicher für meine Vorlesungen von mir entworfen erkannt und weil ich gefunden, daß nichts mehr durchschlägt an Beweisform der Hörer und Leser als grade solche Zeichnungen. Gerne aber hätte ich, verzeihen Sie meine Aufrichtigkeit, sowohl || das verehrte Titelblatt wie dasjenige, auf dem Sie den Neger auf dem Boden sitzend dargestellt vermißt. Sie erscheinen mir überflüssig. Denjenigen des lesenden Publikums, die überhaupt nur geneigt sind aus dem Buche Belehrung zu schöpfen, brauchen diese Abbildungen nicht um überzeugt zu werden und somit bietet ein Theil der Figuren für die überhaupt nicht zu Überzeugenden eine Handhabe für wohlfeile Witze. Somit wären sie meiner bescheidenen Ansicht nach entweder wegzulassen oder zu modificiren und in den einzelnen Figuren besser zu produziren. Zürnen Sie mir nicht wegen meiner Freimüthigkeit. Sie mögen daraus das ungemeine Interesse, das mir das Werk eingeflößt und die Befriedigung, die mich bis zuletzt beim Lesen erfüllte, abnehmen.

Wie freue ich mich, daß Gegenbaur endlich wegen der Zeitschrift zum Entschluß gekommen. Ich habe infolge dessen den Gedanken an eine Fortsetzung der anatomischen Studien aufgegeben und werde alle morphologischen Arbeiten meines Institutes Gegenbaur zur Disposition stellen. Die Zeitschrift für wissenschaftliche Zoologie und das Archiv für Mikroskopie werden aber werkeln. Letzteres auf sein Gebiet beschränkt werden, was aber das erstere betrifft, so werden die Redakteure jedenfalls größere Anstrengungen machen müssen, als es von ihrer Seite geschehen ist. Die Zeitschrift wird ein Sporn nach vielen Seiten hin werden.

Sehr gespannt bin ich auf Müller’s Anatomie des Amphioxus. Ich habe mich auch eine gute Weile damit beschäftigt, muß aber jetzt das Erscheinen seines Werkes abwarten. Vielleicht werden meine bisherigen Arbeiten || dadurch gegenstandslos.

Haben Sie vielleicht zufällig Chimaera und Callorrynchus vorräthig, so würden Sie mich außerordentlich verbinden wenn Sie mir ablassen könnten. Uns fehlt eben dieses Material zur weiteren Untersuchung eines neuen Kopfknorpels.

Mit den herzlichsten Grüßen und nochmaligem besten Danke

Ihr

C. Hasse

Ich bin jetzt auf der Suche nach einem Assistenten. Wissen Sie vielleicht einen?

Der junge Bardeleben war hier zur Naturforscherversammlung. Ich fürchte, daß er in schlechten Händen. Der wäre z. B. bei Meyer in Zürich besser aufgehoben, da seine Neigung auf die physiologische Anatomie geht, als bei dem Histologen, der mir von Anatomie wenig Ahnung zu haben scheint.

Brief Metadaten

ID
30255
Gattung
Brief ohne Umschlag
Verfasser
Entstehungsort
Entstehungsland aktuell
Polen
Entstehungsland zeitgenössisch
Deutsches Reich
Datierung
19.10.1874
Sprache
Deutsch
Umfang Seiten
3
Umfang Blätter
2
Format
14,0 x 22,3 cm
Besitzende Institution
EHA Jena
Signatur
EHA Jena, A 30255
Zitiervorlage
Hasse, Johann Carl an Haeckel, Ernst; Breslau (Wrocław); 19.10.1874; https://haeckel-briefwechsel-projekt.uni-jena.de/de/document/b_30255