Carl Hasse an Ernst Haeckel, Breslau, 12. August 1874

Breslau d. 12ten Aug. 74.

Geehrter Herr Kollege!

Ich habe mich herzlich gefreut daß Sie meinem Urtheil über die Arbeit Berliner’s im großen Ganzen beistimmen konnten, und danke ich Ihnen sogleich für die Mühe, der Sie sich unterzogen und im Namen meines Schülers für die ihn ehrende Anerkennung. Ich glaube nicht, daß er an eine sofortige Publication gedacht, wenigstens würde auch ich ihm eine solche widerrathen haben, allein als Grundlage für spätere Arbeiten möchte sie wohl dienen können und ich finde auch, daß ich Gelegenheit gehabt habe Ihre Aufmerksamkeit auf diese junge und versprechende Kraft a zu lenken.b Ihrer Anthropogenie sehe ich mit der größten Spannung entgegen und danke ich Ihnen im Voraus für die Gabe die Sie mir wohlwollend entgegenbringen. Die Ludwigsche Arbeit habe ich mit großem Interesse zu studiren begonnen. Sie erscheint mir sehr verdienstlich. Auf die Arbeit Kochs bin ich sehr neugierig, denn aufrichtig gestanden ist mir die van Benedensche Ansicht von vorn herein nicht gerade plausibel und sympathisch gewesen und kann ich mich nur schwer mir der c heterotopen Entstehung der Keimzelle in beiden Geschlechtern befreunden. || Während Sie während des Semesters Muße zu eigenen Arbeiten gefunden und jetzt Erholung auf den Bergen suchen, komme ich erst jetzt dazu mich eigenen Arbeiten in Ruhe hinzugeben und habe neben einigen Kleinigkeiten die vergleichende Anatomie der Nase begonnen und zugleich angefangen mich mit dem Bau des Amphioxus zu beschäftigen. Wie weit ich in den Ferien komme, weiß ich noch nicht. Im Winter ist an eigenes Arbeiten nicht zu denken, um so weniger weil ich neben den anatomischen Vorlesungen und der vergleichenden Anatomie der Wirbelthiere die einen Bestandtheil des anatomischend Hauptcollegs bildet, auch noch die vergleichende Anatomie des Skelettes und die vergleichende Morphologie speciell, namentlich der Wirbellosen angekündigt. Die Last der Vorlesungen ist eine erdrückende und doch entziehe ich mich derselben gerne, um das Studiren der Anatomie so recht eigentlich hier einzuführen und das Interesse daran zu wecken resp. lebendig zu erhalten. Froh bin ich aber, daß ich in Dr. Eimer, der auf meinen Vorschlag als Prosektor und außerordentlicher Professor hierhergerufen worden war, eine kräftige Stütze bekommen. Sonst finde ich von Berlin aus wenig Unterstützung und weil man erhebliche Schwierigkeiten bei der Einrichtung einer neuen Anstalt erheben. Das in Verbindung mit den schauderhaften Zuständen, die hier in der Anstaltseinrichtung seit 40 Jahren herrschen, macht mich oft mißmuthig und unsere Gedanken mit Bezug auf Jena gehen oftmals ihren Weg. Ich hätte übrigens gehofft, daß Schwalbe etwas mehr von dem traditionellen e Geist durchdrungen werden würde, und es war leid zu vernehmen, daß er nur Histologie und nichts weiter kennt. Hätten Sie damals nur versucht den Kupffer oder den Stieda zu nehmen Sie wären jedenfalls besser gefahren. Ihre Berufung nach Bonn hat mich allerdings überrascht, allein ich habe mir die Sache so zurechtgelegt, daß Sie als vergleichender Anatom und Dozent und neben ihnen noch ein Massenanatom berufen werde. Habe ich Unrecht? Ist meine Annahme richtig, so glaubte ich, daß Sie vielleicht dahin streben werden || neben sich Gegenbaur zu bekommen. Das wäre herrlich gewesen. Ich bin sehr neugierig, wen Sie jetzt berufen werden. Sollten sie la Valette nehmen, so würde Bonn vollends herunterkommen. Ruft man vielleicht Gegenbaur?

Wie unendlich leid thut es mir, daß Sie so fern und daß ich nicht das Vergnügen habe Sie hier im nächsten Monat zu sehen. Ich werde wohl dahin streben müssen Sie einmal in Jena aufzusuchen. Mit herzlichem Gruß und mit den besten Reisewünschen verbleibe ich

Ihr

C. Hasse.

a gestr.: gelenkt; b gestr.: haben; eingef.: lenken; c gestr.: Entste; d korr. aus: anatomisches; e gestr.: werde

Brief Metadaten

ID
30254
Gattung
Brief ohne Umschlag
Verfasser
Entstehungsort
Entstehungsland aktuell
Polen
Entstehungsland zeitgenössisch
Deutsches Reich
Datierung
12.08.1874
Sprache
Deutsch
Umfang Seiten
3
Umfang Blätter
2
Format
14,4 x 23,3 cm
Besitzende Institution
EHA Jena
Signatur
EHA Jena, A 30254
Zitiervorlage
Hasse, Johann Carl an Haeckel, Ernst; Breslau (Wrocław); 12.08.1874; https://haeckel-briefwechsel-projekt.uni-jena.de/de/document/b_30254