Carl Hasse an Ernst Haeckel, Breslau, 19. März 1874

Breslau d. 19ten März 74.

Geehrter Herr Kollege!

Innig gefreut hat mich die Nachricht, daß Sie von Ihrem Unwohlsein vollkommen hergestellt. Der beste Beweis dafür sind mir Ihre freundlichen Zeilen gewesen, für die ich herzlich danke. Die Gastraeatheorie hat, wie vorauszusehen, eingeschlagen und die Fluth der Schriften und Brochüren für und wider wird wohl kaum so bald ins Stocken gerathen. Die Bombe ist zur rechten Zeit geplatzt, denn mir scheint namentlich unsere jüngeren Forscher haben in der letzten Zeit in ihren Arbeiten wieder angefangen höhere Gesichtspunkte aus den Augen zu verlieren. Die einzige, etwas schwerer wiegende Arbeit contra scheint mir die von Mecznikov zu sein. Blickt auch hier und da ein wenig Ärger über den glücklichen Griff und einige Gereiztheit durch, so läßt sich doch der wissenschaftliche Ernst nicht verkennen. Dennoch glaube ich auch, daß das Fundament seiner Polemik ein nicht ganz festes, das, so weit ich mir ein Urtheil überhaupt erlauben darf, seine Beobachtungen in der ersten Arbeit eine Deutung zu ihren Gunsten gestattena und keinen zwingenden Gegenbeweis liefern. Claus’ Arbeit ist nichts weiter, als der Ausdruck eines großen Ärgers, der wie mir scheint nicht vollkommen || unberechtigt, da mir der Angriff ein wenig allzu scharf erscheint. Er hätte aber wohl auf eine sachliche Erwiderung bedacht sein können. Bastian zappelt gar wie ein elektrischer Frosch und spielt vor dem hochgeehrten Publikum, freilich wohl nicht ganz mit Absicht, den Casperle.

Das Semester ist hier mit voriger Woche zu Ende gegangen, allein Ruhe ist damit nicht eingezogen. Mein Augiasstall giebt den ganzen Tag zu thun. Ich schimpfe recht häufig rechtschaffen, habe aber auch Gründe dazu. Man thut in Berlin gar nichts, um mich zu unterstützen. Seit lange habe ich Geldforderungen gestellt, allein keine Antwort bekommen. Überall fehlt es jetzt. Ich kann keine Mikroskope, keine Instrumente, keine Arbeitstische anschaffen. Arbeitszimmer richtet man mir bis jetzt nicht ein und ich bin genöthigt die Leute, die bei mir selbstständig arbeiten wollen, wegzuschicken. Meine Baupläne, wenn sie überhaupt genehmigt werden, kommen erst nach einigen Jahren zur Ausführung. Ich bin manchmal recht unglücklich und unzufrieden und dafür entschädigt mich auch die Aufmerksamkeit und der Fleiß der Studentenschaft, sowie das prächtige, collegiale Leben nicht, so daß ich gegebenen Falles mich nicht sehr sperren werde von hier fortzugehen, denn unterstützt man mich nicht kräftig von Regierungswegen so sehe ich nicht ein, warum ich Zeit und Mühe verschwenden soll, um ein Institut zu haben, das mit Ausnahme der Sammlungen in Schmutz verkommen und das trotz aller Sorgfalt kein Ansehen gewinnt.

Zum eigenen Arbeiten komme ich fast gar nicht, und vergleichsweise wird die eigene Feder in diesem ganzen Jahre ruhen. Nur einer meiner Assistenten wird unter meiner Leitung eine Arbeit über die Luftsäcke der Vögel, die zu ganz interessanten Resultaten geführt, publiciren.

Sehr gespannt bin ich, wie es mit der Nachfolgeschaft von Schultze wird. Waldeyer ist einzig b und allein vorgeschlagen, aber es || scheint, als ob man ihn in Berlin nicht rufen will. Er ginge gerne. Ist es nicht der Fall, dann wird man in Bonn Gegenbaur und mirabile dictu His auf die Liste bringen. Ob aber einer von Ihnen geht? Ich möchte es sehr bezweifeln.

Für die freundliche Zusicherung mir Spongien zu schicken meinen herzlichsten Dank. Mit freundlichem Gruß

Ihr

C. Hasse.

Kommen Sie nicht zur Naturforscherversammlung hierher?

a korr. aus: gestattet; b gestr.: beruf

Brief Metadaten

ID
30252
Gattung
Brief ohne Umschlag
Verfasser
Entstehungsort
Entstehungsland aktuell
Polen
Entstehungsland zeitgenössisch
Deutsches Reich
Datierung
19.03.1874
Sprache
Deutsch
Umfang Seiten
3
Umfang Blätter
2
Format
14,3 x 22,9 cm
Besitzende Institution
EHA Jena
Signatur
EHA Jena, A 30252
Zitiervorlage
Hasse, Johann Carl an Haeckel, Ernst; Breslau (Wrocław); 19.03.1874; https://haeckel-briefwechsel-projekt.uni-jena.de/de/document/b_30252