Ernst Krause an Ernst Haeckel, Berlin, 15. Oktober 1880

Berlin N. O. Friedenstraße 11. 3 Treppen

den 15.10.80.

Lieber Freund!

Schon längst drängte es mich, nach Ihrem Schweizer Aufenthalt zu fragen u. Ihnen Bericht über den Gang des „Kosmos“ zu geben, aber ein Umzug u. die im Gefolge desselben unvermeidlichen Störungen, hielten mich immer noch in ihrem Banne. Hoffentlich haben Sie besseres Wetter gehabt als ich, denn ich habe mich erst wieder der Sonne erfreuen können als ich die Alpen im Rücken hatte, u. bei Regen u. Nebel ist die Schweiz eines der tristesten Länder, welche es geben kann. Was den Kosmos betrifft, so denkt Alberts immer ernstlicher daran, denselben aufzugeben, da er mit einem chronischen Deficit arbeitet. In vieler Beziehung wäre mir das nun ganz recht, zumal ich mich pekuniär ziemlich schlecht dabei stehe, andrerseits ist es mir unlieb grade jetzt zu weichen, da so mancherlei Bestrebungen hervortreten, die des Kampfes werth sind. Sie haben wohl gelesen, wie Ranke, Ecker u. Virchow in der Anthropologischen Gesellschaft wieder auf die neuere naturphilosophische Schule geschimpft haben, u. es ist mir allemal eine Herzenserleichterung wenn ich ihnen gleich ein’s drauf geben kann. Auf der andern Seite verschickt man soeben aus Frankfurt die Cirkulare einer neuen monistischen Wochenschrift, die sich wie die Einladung sagt speciell mit der Bekämpfung der biologischen Atome u. dem Aufleben der Bruno’schen Monadologie beschäftigen will, u. vor Allem die socialistischen Ideen unter monistischer Larve fördern will. Ich lege Ihnen den Prospekt bei, da ich vermuthe, daß Sie denselben nicht erhalten haben, bitte aber um gelegentliche Zurücksendung. Auf die socialistische Tendenz deutet außer dem Inhalt des Circulars schon die Absicht, das Blatt von Newÿork aus zu versenden. Der eine Herausgeber, Fabian, ist ein extravaganter Ingenieur, der mir kürzlich mit wirklich erstaunens-||werther Naivität einen Aufsatz für den Kosmos sandet, in welchem Caspari wegen seiner biologischen Atome u. Sie wegen Ihrer Plastidulseelen als Genossen u. Vorarbeiter Zöllner-Slades hingestellt werden. Der von mir mit energischem Protest zurückgegebene Aufsatz ist seither in einer obskuren leipziger Wochenschrift (Die neue Welt 1880a No 29 u. 30) unter dem Titel „Die Verirrungen modernster Naturwissenschaft“ erschienen; es ist aber nicht werth, daß Sie diese albernen Angriffe lesen. Im Angesichte der Aussicht, daß diese Fabian’sche Zeitschrift die Oberhand gewinnen, u. an Semper, Carl Vogt, Büchner u. s. w. treue Stützen gewinnen könnte, habe ich Alberts ermahnt, wenigstens noch etwas auszuharren.

Wegen guter Artikel bin ich jetzt weniger in Sorge, da Fritz Müller sich wieder aufgerappelt hat u. Fritz Schultze uns tapfer unterstützt. Auch habe ich von Herbert Spencer wieder eine Serie gleichzeitig in englischen Zeitschriften erscheinender Artikel angenommen, die im Dezemberheft beginnen werden. Prof. Straßburger habe ich um seinen Zellenvortrag ersucht, aber leider hören müssen, daß er schon anderweit vergeben sein [!]. Dagegen hat mir ein Dr. Hentschel in Jena einen ganz hübschen b Artikel über die Perigenesis-Theorie geschickt, den ich im Dezemberheft geben will. Wünschenswerth bleibt es freilich, daß Sie uns auch mal wieder mit einem Original-Beitrage unterstützen. Darwin schreibt mir, daß von ihm in 4–6 Wochen ein neues Werk „Movements of Plants“ erscheinen werden [!]. Er entfaltet immer noch eine bewunderungswürdige Arbeitskraft, u. es scheint sich wieder um eine auf sehr zahlreiche Experimente aufgebaute Arbeit zu handeln.

Caspari u. Jäger bin ich immer noch nicht ganz los. Caspari behauptet man verbreite wegen seines Rücktritts von der Redaktion des Kosmos eine Menge übler Gerüchte über ihn u. verlangt eine Art Ehrenerklärung!! Jäger hat sich dagegen wieder hinter Alberts gesteckt u. wünscht uns wieder mit neuen seelenvollen Artikeln zu beglücken. Ich kann der alten Verhältnisse wegen nicht gut völlig ablehnend gegen ihn auftreten, aber ich habe mir ausbedungen, daß es sich nur um die Resultate von Versuchsreihen in objektiver Darstellung aber nicht um allerlei subjektive || Phantasien handeln dürfe. Er reist jetzt im Lande umher, u. hält auf Verlangen Vorträge über seine Seelentheorie. Weiter weiß ich für heute nichts zu berichten, u. schließe in der Hoffnung daß Sie sich wohl befinden, u. mit der Bitte um ein Lebenszeichen

Unter herzlichen Grüßen

Ihr

ergebenster

Ernst Krause

P. S. Unter Kreuzband füge ich die Schlußlieferungen von Werden u. Vergehen bei, welches mir, offen gestanden, in der neuen Gestalt nochc weniger zusagt, als in der alten. Namentlich mißfallen mir die Bilder außer Text, zu denen ich mich nurd auf vieles Drängen des Verlegers entschlossen habe. Haben Sie alle Lieferungen erhalten?

a eingef.: 1880; b gestr.: Vortrag; c eingef.: noch; d eingef.: nur

Brief Metadaten

ID
29458
Gattung
Brief ohne Umschlag
Entstehungsort
Entstehungsland aktuell
Deutschland
Entstehungsland zeitgenössisch
Deutsches Reich
Datierung
15.10.1880
Sprache
Deutsch
Umfang Seiten
3
Umfang Blätter
2
Format
22,0 x 14,3 cam
Besitzende Institution
EHA Jena
Signatur
EHA Jena, A 29458
Zitiervorlage
Krause, Ernst an Haeckel, Ernst; Berlin; 15.10.1880; https://haeckel-briefwechsel-projekt.uni-jena.de/de/document/b_29458