Ernst Krause an Ernst Haeckel, Berlin, 13. Juli 1880

Berlin N. O. Friedenstraße 10. II.

den 13.7.80.

Lieber Freund!

Seien Sie nicht böse, daß ich Ihnen erst heute den mir freundlichst geliehenen Oken zurücksende. Ich habe endlich die seit zwei Jahren beabsichtigten Artikel über die Entwicklungsgeschichte u. die Gasträa-Theorie geschrieben, aber es ist nicht so geworden, wie ich gedacht habe, denn ich fand bald, daß eine gründliche Darstellung, namentlich der cenogenetischen Umformungen der Gastrula nur mit einem Aufwande von Raum u. illustrativen Material geschehen kann, der im Kosmos nicht gut zu beschaffen war. Ich habe mich daher mehr an die Schilderung der äußeren Momente gehalten, u. möchte Sie bitten, freundlichst einen Blick in die Correktur des die Gasträa-Theorie betreffenden Bogens zu werfen, deren Sendung an Sie ich anordnen werde.

Allerlei Rücksichten haben Alberts veranlaßt, den Titel des Kosmos zu ändern. Er verspricht sich von dieser Änderung einigen Erfolg in der Heranziehung einiger grollenden Mitkämpfer u. wenigstens scheint er sich in Oskar Schmidt nicht getäuscht zu haben, denn dieser hat, sofort, nach dem ihm die Titeländerung bekannt wurde, einen Beitrag gesendet (Er hatte früher einmal geschrieben, er könne weder unter Ihrer noch unter Darwins Flagge fahren!)

Vor einigen Wochen waren wir bereits einig, den Kosmos zum 1. Oktober eingehen zu lassen, u. mir wäre das sehr recht gewesen, nun scheint er wieder Muth gefaßt zu haben, und a ich bin entschlossen, so lange mitzuthun, wie er will, um nicht dem Vorwurf zu verfal-||len, die Flinte vorzeitig in’s Korn geworfen zu haben. Im Übrigen hätte ich niemals geglaubt, daß unser Publikum so wenig Hingebung für dergleichen besitze, aber freilich ist ihm durch einige Artikel von Caspari u. Jaeger viel zugemuthet worden: es wurde einfach abgeschreckt. Ich selbst betrachte als den einzigen Gewinn der Titeländerung, daß damit Caspari definitiv aus der Redaktion gedrängt wurde, was sehr schwer war, da er eine unglaubliche Macht über Alberts ausübte, u. mit einer besserer Dinge würdigen Zähigkeit sich als ersten Gründer u. Märtÿrer des Kosmos hinstellte, dem in Folge b seiner Mitredaktion – die von jeher nur eine nominelle gewesen ist – mehrere Berufungen u. wer weiß was sonst, durch die Finger gegangen seien.

Der Druck von Werden u. Vergehen hält mich noch immer hier zurück, sobald er aber – in 1–2 Wochen beendet ist, gedenke ich ohne Aufenthalt nach der Schweiz zu eilen, um mich wieder etwas aufzufrischen. Ich werde auf diese Weise an den großen Leistungen u. Festen der Anthropologischen keinen Theil haben können; was mir keine Schmerzen macht, denn mir erscheint dieses Scherbensuchen u. Schädelmessen als der höhere Sport, bei dem alle Deutungen auf Wähnen u. Meinen beruhen, denn was lehrt mich Brachÿ- u. Dolichocephalie bei einem Schädel, von dem ich nicht weiß, ob die Person, der er angehörte, an Ort u. Stelle geboren ist, oder wenn dies, von eingewanderten Eltern. Vanitatum Vanitas, ein Ruhebett für Naturforscher, die zu faul geworden sind, gründliche Untersuchungen an thatsächlichem Material anzustellen.

Ich benutze die Gelegenheit, um Ihnen die vorletzte Lieferung von Werden u. Vergehen zu senden. Die früheren u. Erasmus Darwin, welche ich per †band sandte, haben Sie wohl regelmäßig erhalten, eventuell könnte ich diese fehlenden nachsenden. Von dem Darwin-||buch hat Prof. Zöckler in Greifswald, gleich nach dem Erscheinen der englischen Auflage eine Art Auszug im Verlage von Winter Leipzig gebracht, wahrscheinlich um einem dringenden Bedürfnisse abzuhelfen.

Mit meiner alten Bitte, wieder einmal einen Original-Beitrag zum Kosmos von Ihnen zu erhalten, darf ich wohl nicht kommen? Vermuthlich stecken Sie noch immer so tief in Medusen, Radiolarien u. andern Herrlichkeiten, daß darauf nicht zu rechnen ist? Ich muß mich mit dem Gewinn der Wissenschaft trösten, obwohl der Kosmos dabei wissenschaftlich u. moralisch auf den Hund kommt, wenn Sie uns Ihre jeweilige Mitwirkung entziehen. Wie die Verhältnisse einmal liegen, kann ich nichts weiter thun als die Leser mitunter unterhalten; die wissenschaftliche Stütze muß ihm aus höheren Regionen zufließen u. da haperts sehr.

Doch ich habe Sie für heute mit den kosmischen Schmerzen genug geplagt u. füge nur noch die herzlichsten Grüße u. Wünsche für Ihre Sommerfrische in den Ferien hinzu.

Immerdar

Ihr

von Herzen ergebener

Ernst Krause

a gestr.: hat er wieder; b gestr.: desselben

Brief Metadaten

ID
29456
Gattung
Brief ohne Umschlag
Entstehungsort
Entstehungsland aktuell
Deutschland
Entstehungsland zeitgenössisch
Deutsches Reich
Datierung
13.07.1880
Sprache
Deutsch
Umfang Seiten
3
Umfang Blätter
2
Besitzende Institution
EHA Jena
Signatur
EHA Jena, A 29456
Zitiervorlage
Krause, Ernst an Haeckel, Ernst; Berlin; 13.07.1880; https://haeckel-briefwechsel-projekt.uni-jena.de/de/document/b_29456