Karl Krall an Ernst Haeckel, Elberfeld, 28. Oktober 1916
Elberfeld, den 28. Oktober 1916.
S. Excellenz | Herrn Professor Ernst Haeckel, |Jena,
Ew Excellenz danke ich noch verbindlichst für die Uebersendung der Denkschrift an Ihren Freund und Forscher Arnold Lang. Ich habe mit lebhafter Anteilnahme den Inhalt genossen und mich an diesem schönen Freundschaftsdenkmal erbaut. In kurzer Zeit wird Ew. Excellenz das neueste Heft der „Mitteilungen“ zugehen. Bei der regen Teilnahme, die Sie, hochverehrter Herr Professor, meinen Bemühungen stets zugewandt haben, – ich erinnere an unsere erste Aussprache über den klugen Hans, ich glaube im Mai 1907 –, darf ich Ihnen vielleicht kurz von dem Stand der Sache Mitteilung machen. Da ist leider nicht viel Erfreuliches zu berichten. Ein grosser Teil der ehemaligen Freunde ist uns nun politisch feind, ein anderer Teil der einheimischen Freunde ist abgefallen, vor allem Edinger, von Buttel-Reepen u.a.. Der Enthusiasmus eines anderen Teils ist mächtig abgeflaut, und so ist das „Häuflein der Aufrechten“ sehr zusammengeschmolzen. Ich selbst musste mich ja schon vor längerer Zeit mit dem Gedanken vertraut machen, meine Studien für lange Zeit aufzugeben, oder doch erheblich zu beschränken. Die innere und äussere Inanspruchnahme von allen Seiten, der ungeheure Kostenpunkt der mit den Pferden verknüpften Versuche, und so vieles andere geboten mir nach dieser Richtung hin Einhalt. Das Unglück fügte es, dass in letzter Stunde ein dänischer Taschenspieler auftauchte, der in der gröblichsten Weise mein Vertrauen missbrauchte und Unwahrheiten verkündete. Wie es denn so der Lauf der Dinge ist, wurde dieses „vernichtende Urteil“ einer a ganz übel beleumdeten Persönlichkeit mit Begier von den deutschen Wissenschaftlern ergriffen, waren sie doch dieser überaus lästigen, zum Umdenken zwingenden Geschichte ledig! Ew. Excellenz kennen ja aus eigener Erfahrung die Ueberzeugungstreue und den Scharfsinn der deutschen Wissenschaftler. Ehemals war es mein || sehnlichstes Streben, – ich habe in meinem Kaufmannsstand sehr darunter gelitten –, mein Leben der Wissenschaft zu weihen und „Professor“ zu werden. Ein Glück, dass es nicht dazu kam. Was hätte ich da erst in unmittelbarer Berührung mit diesen „Leuchten der Wissenschaft“ zu erdulden gehabt!
„Ich habe ihn viel zu lieb, – sagt Goethe einmal von Herdern, – er ist zu gut zum Professor, er kennt ihre kleinlichen Leidenschaften noch nicht.“ Ich habe sie zur Genüge kennen gelernt. Immer wieder erfährt man die traurige Wahrheit: die Forschung ist ihnen ganz gleichgültig, es kommt ihnen lediglich darauf an, ihre Tagelöhnermeinung zu verteidigen. Aber es konnte natürlich nicht ausbleiben, dass diese ewigen Kämpfe zermürbend auf die Anhänger wirken mussten, wenngleich sich die Sache noch immer zahlreicher Freunde in Laienkreisenb erfreut. Das Betrübendste dabei ist der Umstand, dass man diese Versuche, deren Aufbau und Hergang ich doch sorgsam beschrieben habe, nicht einmal realiter nachgeprüft hat. Das Unterrichten, das geistige Eindringen in die Seele des Tieres, macht keine Schwierigkeiten, nur die Beherrschung seines Willens ist das Hauptproblem, nachdem der Weg nun einmal eröffnetc ist. Hinzu kommt dann neuerdings die „Entlarvung des Mannheimer Hundes“ von Dr. Neumann, der nun von Edinger und Consorten triumphierend auf den Schild erhobend wird. Dieser jüdische Arzt hat seine Versuche mit grosser Oberflächlichkeit angestellt und sich dabei in Widersprüchef verwickelt. Ich hatte den „Vorzug“, ihn vor 2 Wochen in Basel, gemeinsam mit Dr. Sarasin und Prof. Gustav Wolff, dem bekannten Psychiator, zu treffen und ihn selbst über seine minderwertigen Versuche befragen zu können. Die Familie Moekel, – die armeg Frau Moekel selbst ist ja schon längst gestorben –, ist alles andere als wissenschaftlich beanlagt und nun ruhth gewissermassen dieses so wichtige Problem des Mannheimer Hundes, das, wie es auch sein mag, auf die Elberfelder Verhältnisse abfärbt, in den Händen der Unmündigen. Eingebildete, teils hysterische Kinder beschäftigen sich nun mit diesem Problem, ohne von dem Ernst der Sache und den Ansprüchen der Wissenschaft eine blasse Ahnung zu haben. Es kann nicht ausbleiben, dass alle diese Dinge sehr ungünstig auf die fernere Entwicklungi des Problems einwirken.||
Die Sprösslinge des Hundes sind, wie Sie aus der früheren Nummer der „Mitteilungen“ ersehen haben, ebenfalls gut gediehen und haben mit spielender Leichtigkeit gelernt. Das Verblüffende ist eben die Schnelligkeit und Sicherheit, mit der das Tier, wenn man sich liebevoll mit ihm abgiebt, unsere Sprache verstehenj k lernt. In dieser Schnelligkeit ist das Tier weitaus, aber weitaus dem Kinde und den Wilden überlegen. Hier schlummern noch grosse Probleme.
Im übrigen ist es bedauerlich, dass ich den 2. Jahrgang der „Tierseele“ nicht mehr herausgeben konnte, es würden darin meine neuen Entdeckungen über die Tiersprache veröffentlicht worden sein. Dieses Problem ist eins der verblüffendsten, die überhaupt je da waren und ich glaube, den eigentlichen Schwerpunkt wissenschaftlichl klargestellt zu haben. Näheres würde an dieser Stelle zu weit führen, da wir ein unabsehbares Neuland vor uns haben, dessen Verkündigung noch grösseren Anfeindungen entgegengehen wird, als es bei der Lehre der Denktätigkeit der Tiere geschah. Statt nun hier mitanzugreifen und Steine zu diesem Bau der Zukunft herbeizuschleppen und zu behauen, betrachten es die zeitgenössentlichen Wissenschaftler für ihre Aufgabem, das bereits Aufgebaute abzubrechen und den Baugrund wieder mit Schutt und Dreck zu belasten.
Sie werden, hochverehrter Herr Professor, mir nachempfinden, mit wie vielen bitteren Gefühlen man, der es wirklich redlich dabei hat sauer werden lassen, solchen vernichtenden Bestrebungen gegenübersteht. Man verzweifelt geradezu an der Menschheit, wenn man sieht, wie Edinger, Marbe, Dexler und Genossen nicht soviel Hirn besitzen, um das völlig Unzulängliche ihrer Hypothesen einzusehen. Sie haben Scheuklappen vor den Augen, gegen die jene des alten, guten Hans wie ein wahres Kinderspiel sindn.
Ich denke, es würde Ew. Excellenz nicht unlieb sein, einen kleinen Ueberblick zu erhalten. Im übrigen muss ich feststellen, dass das Problem nicht mehr von der Bildfläche verschwindet. Selbst in den Schützengräben || finden die eifrigsten Disputationen statt, hinter der Front werden Vorträge mit Lichtbildern gehalten und der Zeitungskampf geht „unentwegt“ weiter und so dürften wir hoffen, dass einmal später ein glücklicherer Nachfolger durch die erste Bresche weiter ins Neuland vordringen wird.
Ich würde mich von Herzen freuen, wenn dieser Brief Ew. Excellenz in Wohlbefinden antreffen würde. Leider bin ich in langen Jahren nicht mehr in die dortige Gegend gekommen, ich würde es mir sonst nicht haben versagen können, Sie hochverehrter Herr Professor, persönlich zu begrüssen.
In alter Anhänglichkeit und Verehrung
Ihr sehr ergebener
Karl Krall.
Wie Euer Exzellenz ersehen, hat sich die Absendung dieses Briefes durch die beispiellose Verschleppung des Druckes und Versandes dieser Nummer der „Mitteilungen“ bis heute verzögert. Ich füge nunmehr meine herzlichsten Wünsche für das kommende Jahr hinzu, dass wir uns alle des schwer verdienten Friedens erfreuen möchten; man wagt noch nicht darauf zu hoffen. Es würde mich freuen, einige erfreuliche Worte über Ihr Wohlbefinden zu vernehmen. Ich erlaube mir noch einen Sonderdruck beizufügen, der Marbes Brief und meine Antwort enthält, gleichzeitig aber auch, was Marbe darauf zu erwidern musste. Es ist doch eine klägliche Sache!
a gestr.: vom Gegner; b eingef.: in Laienkreisen; c korr. aus: geöffnet; d korr. aus gehoben; f korr. aus: Widerspruch; g korr. aus: atme; h eingef.: ruht; i gestr.: Aufnahme; eingef.: fernere Entwicklung; j korr.: versteht; k gestr.: und; l eingef.: wissenschaftlich; m eingef.: für … Aufgabe; n korr. aus: ist