Krall, Karl

Karl Krall an Ernst Haeckel, Elberfeld, 22. Dezember 1915

KARL KRALL

ELBERFELD, den 22.12.15.

ROONSTRASSE 54

Euer Exzellenz

erlaube ich mir meine herzlichsten Wünsche zum Fest und Jahreswechsel darzubringen! Ihren so liebenswürdigen Brief habe ich mita grosser Freude erhalten. Es ist ja nun im Menschenleben ein trauriges Ding, dass, je gereifter und abgeklärter der Geist wird, er um so mehr mit seinem widerstrebenden Körper zu ringen hat. Möchten Sie uns im nächsten und in noch recht vielen nachfolgenden Jahren gesund und in gewohnter geistiger Frische und Rüstigkeit erhalten bleiben!

Ich erlaube mir eine kleine Schrift von Prof. Ziegler beizufügen, die gewissermassen einen Abschluss bildet, und die erste grössere Veröffentlichung der „Gesellschaft für Tierpsychologie“ (ausser den „Mitteilungen“) darstellt. Nehmen Sie diese kleine, als solche in Ihrer Art bedeutsame Schrift als ein bescheidenes Zeichen meiner aufrichtigen Verehrung und Ergebenheit.

Aber der ergebenst Unterzeichnete ist so unbescheiden, einen Wunsch auszusprechen, und zwar ist es der, für mich (und später nach meinem Ableben für das „Archiv“) ein Werk Ihrer Feder zu besitzen, gleichviel welches, womöglich recht abgetragen und mit Bleistiftstrichen oder sonstigen persönlichen Zutaten versehen. Ich möchte für immer ein Werk von Ihnen in Händen haben (ich besitze fast Ihre sämtlichen Werke), von dem ich mir sagen kann, dass Ihr Auge darauf verweilt, Ihre Hand darin geblättert hat. Ich denke, Sie verstehen mich und meine Gesinnung.

Neuerdings beginnt wieder ein Geplänkel, und zwar auf Veranlassung eines dänischen ehemaligen Kellners und Zauberkünstlers, der sich später als „Wissenschaftler“ aufspielte, und mir als solcher „empfohlen“ wurde. Dieser Mann macht aus „Entlarvungen“ Geschäfte, und da waren ihn vor 2 Jahren meine Pferde ein gefundenes Fressen. Ich – in ehrlicher Ueberzeugung – hatte diesem mirb wildfremdenc Menschen gutgläubiger und thörichter Weise meine Pferde ahnungslos überlassen; sie arbeiteten damals bei mir und dem Pferdepfleger überaus schlecht, manchmal aber mit ganz fremden || Personen sehr gut. Ohne mir nun irgendeinen Ton zu sagen liess er sie nach seiner Abreise eine Flut von Verdächtigungen gegen den Pferdepfleger und indirekt auch gegen mich übermitteln. Daraufhin erkundigte ich mich eingehend durch einen guten Freund nach dem Vorleben dieses Menschen, und erfuhr da allerlei interessante Dinge, die ich schon eben kurz gestreift habe. Das Interessante ist, dass der Name dieses Menschen nicht bekannt ist. Faustinus ist offenbar ein ganz erfundener Name. Jedenfalls ist der Name Edelberg der Zunahme seiner Frau und nicht sein eigener. Früher reiste er unter den Namen Faust Faustinus, Capriello u.a. in der Welt umher.

Es ist nun ein psychologisch köstliches Ereignis, dass eine Reihe von Göttinger sog. Gelehrten mit den schönen deutschen Namen Müller – Maier, als Dritterd im Bunde Lehmann in Kopenhagen, glatt auf diesen Schwindler hereinfallen, wie Sie aus der beiliegenden Zeitung ersehen. Es ist sehr bemerkenswert für die Psyche dieser Leute, dass für sie die Aussagen zahlreicher ernster Männer, die doch in der ganz bestimmten Absicht nach Elberfeld kamen, die Frage der willkürlichen und unwillkürlichen Zeichen in erster Linie zu prüfen, nicht vorhanden sind; dass sie aber glatt auf die Verdächtigungen eines wildfremden Menschen, dessen Name nicht einmal bekannt ist, hereinfallen. Warum? Weil das ihrem Denkorgan bequemer ist als an das Rechnen und Briefeschreiben der Denkenden Tiere zu glauben. Das Umdenken macht Arbeit und Mühe und so reagiert ihr Geist nach dem Gesetz des kleinsten Kraftmasses.

Ehemals, als ich noch ein Jüngling im lockigen Haar war, da war für mich der „deutsche Professor“ das Ideal der Menschheit, das Sinnbild nicht nur der Gelehrsamkeit, sondern auch der inneren Wahrhaftigkeit. Dabei schmückte ich ihn selbstverständlich nach meinem Ideal reich mit den köstlichsten Eigenschaften des Gemütes und des Verstandes aus. Du lieber Gott! – wenn man älter wird und so gewissermassen als Entdecker die Früchte seiner Tätigkeit erntet, wie sie mir von Seiten der deutschen Professoren beschieden waren, so können sich Euer Exzellenz denken, wie || einem da zu Mute ist. Wie sieht man da in dem akademischen Hexenkessel die Borniertheit, die blasentreibende Böswilligkeit aufquellen, und dann diese Angstmeierei, die Besorgnis, seinem Rufe zu schaden (Edinger u.a.)! – dann kommt einem das alte Jugendideal vom „deutschen Professor“ wie ein Gummischweinchen vor, oder wie der kleine aufgeblasene Cohn, der als hohle Gummiblase in Nichts zusammenschrumpft. Ein sehr gelehrter Freund, Universitätsprofessor, wiederholte mir oft genug: „Sie haben ja, mein Lieber, keine Ahnung, was für eine Beschränktheit auf unsern Universitäten herumläuft. Von diesem Neid, dieser Kleinigkeitskrämerei, diesem Geheimtrieb, hat nur der einen Schimmer, der vom Bau ist und den Betrieb durch und durch kennt.“

Eine Ausnahme, einen Lichtblick bilden nur die wenigen, an den zehn Fingern der Hand herzuzählenden deutschen Gelehrten, die sich wirklich um das Problem bemüht haben. Dass Sie, sehr geehrter Herr Haeckel, damals der einzige deutsche Gelehrte waren, der von der Denkfähigkeit des Klugen Hans überzeugt blieb, das wird Ihnen nie vergessen werden.

Ich möchte es gerade zu dieser Stunde, da Lug und Trug an der Tagesordnung stehen, da Treue und Glaube aus der Welt verschwunden scheinen, mit aller Wärme aussprechen, dass ich mich zu Ihnen, mein hochverehrter Meister, gerade aus dem Grunde im Inneren so mächtig hingezogen fühlte, weil ich empfand und wusste, dass es sich bei Ihnen stets um einen Kampf für Ihre innere Ueberzeugung, d.h. für die als solche erkannte Wahrheit handelte. Wo findet man das in deutschen Landen? Freilich – die Forschung geht ihren Gang, und jeder „glaubt“ für Wahrheit und Recht einzustehen und zu kämpfen. Besieht man sich aber die Sache bei Licht, so handelt es sich durchweg um gleichgültige alltägliche Dinge. Der Probierstein ist und bleibt eben die neue Tat, die Umwälzung, dae zeigt sich, was im Inneren des Gelehrten steckt, und ob er die innere Freiheit hat, das Neue || zu erkennen, und den Mut, dieses Bekenntnis öffentlich abzulegen. Die deutsche Gelehrtenwelt, die sog. Akademiker, haben diese Probe schlecht bestanden. Es ertönt – wie es zu allen Zeiten war – der Ruf: „Kreuziget ihn, kreuziget ihn! denn er zertrümmert unsere alten Götter.“

Mich mit Ihnen in diesem nicht immer leichten Kampfe eins zu wissen, ist ein Stolz meines Lebens. Ich weiss, wie schwer es war, das durchzuführen, was hinter mir liegt; aber ich weiss auch, welch eine Fülle von Glücksumständen eintreten musste, um das Ziel zu erreichen. Hätte mich z.B. ein gütigesf Geschick nicht in die Lage versetzt, meinem kostspieligen Studium mit völliger Unabhängigkeit nachzugehen – wer weiss, was aus der Sache geworden wäre, wenn ich auf die Hülfeleistung anderer angewiesen war. Wie schwach diese Hilfe geweseng wäre, dass [!] habe ich manchmal deutlich genug erfahren können. Freuen wir uns also gemeinsam, dass ein günstiger Stern diese Zufälligkeiten zur glücklichen Stunde vereinigte. In diesem Sinne fühle ich mich als Vorkämpfer des für Recht Erkannten als den getreuen Schildknappen des Ritters ohne Furcht und Tadel, als den ich Sie, verehrter Meister, stets verehrt habe.

Möchte Euer Exzellenz nach einem so taten- und kampfesfreudigem Leben auch weiterhin Gesundheit und Glück beschieden sein!

In herzlicher Verehrung verbleibe ich Euer Exzellenz

ganz ergebenster

Karl Krall.

a korrl aus: mir; b eingef.: mir; c korr. aus: w l fremden; d korr. aus Dritte; e handschriftl. überschrieben: an; f korr. aus: Gütiges; g eingef.: gewesen

 

Letter metadata

Verfasser
Empfänger
Datierung
22.12.1915
Entstehungsort
Entstehungsland
Besitzende Institution
EHA Jena
Signatur
EHA Jena, A 29358
ID
29358